: Wissen, was sie tun
■ „Metallica“ in Berlin
Draußen stehen Leute und suchen andere, die 150 Mark für eine Karte anlegen wollen. Vor der Deutschlandhalle drängelt es sich, als wären die Türen noch nicht offen, aber drinnen ist es auch schon voll. Metal ist groß, Metallica sind die größten.
Die Bühne hat die Form eines Diamanten, ist rundherum begehbar, und über das Loch in der Mitte, in dem noch einmal ungefähr hundert Zuschauer stehen, führen zwei sich kreuzende Rampen. Das Schlagzeug ist mobil und kann zu fast jedem Punkt der Bühne bewegt werden, Gitarren und Baß werden über Funk übertragen, damit die Herren Metal- Rocker nicht in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind. Über die ganze Bühne sind Mikrophone verteilt. Oben, vor der überdimensionierten Lichtanlage, hängen drei Videoschirme, auf denen – anstatt einer Vorgruppe – zur Einstimmung ein 25minütiges, hektisch zusammengeschnittenes Filmchen aus Videoschnipseln, Dokumentar- und Liveaufnahmen abgespult wird. Während des Konzertes wird der Auftritt, aufgenommen mit drei oder vier Kameras, parallel auf die Schirme übertragen. Die Aufnahmetechnik und Bildregie ist mindestens so perfekt und aufwendig wie damals beim Rockpalast. Willkommen zurück in den 70ern, recken sie bei der Ballade ihr brennendes Feuerzeug, wir sind endgültig wieder angekommen.
Damals, als die Hallen immer größer wurden, die Verstärkertürme immer höher und die Stars immer abgehobener. Die Zeit kommt einem unweigerlich in den Sinn, aber dieses Konzert ist trotzdem anders. Durch den Bau der Bühne und die extreme Mobilität der Musiker löst sich das Bandgefüge auf. Niemals kann man die Band als eine Einheit erfahren, immer wandert der Blick von einem zum anderen und dann auf die Videoschirme, wo die Verdopplung stattfindet und zugleich die visuelle Lenkung des Geschehens. Während man selbst die totale Kontrolle über das Sehenwollen zu haben glaubt (Macht in der Ohnmacht wie beim Zappen durch 30 Kabel-Kanäle), wird zeitgleich die Illusion der Nähe aufrechterhalten – in einer Intensität, wie sie sonst bei Konzerten dieser Größe gar nicht mehr üblich ist. „Ich sehe hier ein paar Gesichter vom letzten Konzert“, meint Sänger James Hetfield dem Publikum weismachen zu müssen. Zudem beteuert die Band ihre Normalität: „Ihr seid meine Helden, ich bin einer von euch.“
Sie sind ganz einfach Profis. Sie wissen, daß der Werkzeugmacherlehrling aus dem Märkischen Viertel was sehen will, wenn er fast ein Zehntel seines Monatslohns für eine Karte ausgibt. Also kriegt er reichlich geboten: Keinen schnöden Nebel, aber echtes Feuer, Explosionen, daß die Herzschrittmacher zucken, Technik, Bombast und eine perfekte Dramaturgie.
Sie wissen genau, was sie tun. Sie wissen nur nicht oder sie nehmen es billigend in Kauf, daß die Grenze zu einer faschistoiden Ästhetik leicht überschritten werden kann. Die Arme recken sich zu Tausenden, das rhythmische Klatschen setzt auf Bestellung ein, die Refrains der Hits werden aus -zig Kehlen mitgegrölt, Lichtkuppeln wandern über die psychotisierten Massen. Es ist zwar eindeutig, aber es ist immer noch die Illusion vom Rock'n'Roll, so wie er nie gewesen ist: Der Glaube an die Individualität in der Uniformität aus Lederkutte, zu engen Jeans, Cowboystiefeln und langen Zotteln – und die elektrische Gitarre. Bei Metallica fallen nebenbei ein paar wirklich großartige Songs ab, aber um Musik ging es an diesem Abend nur nebenbei. Thomas Winkler
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