„Mit dem Fallschirm abspringen“

■ Herbert Leuninger (Sprecher „Pro Asyl“) zum Kompromiß

taz: Herr Leuninger, wie bewerten Sie das Ergebnis der Verhandlungen zwischen den Altparteien – die Grünen waren ja von den Asylrunden ausgeschlossen – zur Änderung des Asylrechts?

Herbert Leuninger: Das ist ein Sieg der Straße und eine Niederlage für unseren Rechtsstaat. Der Artikel 16 Grundgesetz soll durch einen Artikel 16a ersetzt werden. Damit wird der 16er auf den Standard der Genfer Flüchtlingskommission verengt. Das heißt im Klartext, daß das individuell einklagbare Menschenrecht auf Asyl zur Disposition gestellt ist. Die flankierend dazu verabredeten Maßnahmen werden in letzter Konsequenz dazu führen, daß ein Flüchtling nur noch mit dem Fallschirm über Deutschland abspringen kann, wenn er hier Asyl beantragen will.

Sie befürchten demnach, daß über Absprachen auch mit den östlichen Nachbarländern der Bundesrepublik eine neue Mauer um Deutschland herum aufgebaut werden soll – diesmal gegen Ein- und nicht gegen Ausreisewillige...

Das wird eine Mauer um die Bundesrepublik herum werden. Und wenn man sich dazu noch die Beschlüsse der EG-Innenminister von der vergangenen Woche in London ansieht, wird klar, daß um die Außengrenzen der EG noch eine zweite Mauer hochgezogen werden wird. Die Innenminister haben auf dem Papier um die EG einen Ring von angeblich sicheren Durchreisestaaten gezogen. Sollte es also ein Flüchtling schaffen, in ein Land an der Peripherie der EG zu gelangen, kann er postwendend wieder über die Grenze in ein angebliches Nichtverfolgerland außerhalb der EG-Grenzen abgeschoben werden.

Würden Sie denn der These zustimmen, daß mit dem Parteienkompromiß vom Sonntag zumindest die unselige Asyldebatte in den Zeiten des rechtsradikalen Terrors ein Ende gefunden hat?

Wir gehen davon aus, daß dieser Streit nicht zu Ende ist, weil es um all die vielen Einzelpunkte noch ein Gezerre geben wird und wohl auch muß. Die Diskussion wird bis zu einer Verabschiedung im Bundestag weitergehen. Wir gehen mittelfristig auch davon aus, daß nach wie vor Flüchtlinge in die Bundesrepublik kommen werden – allerdings unter weit restriktiveren Bedingungen. Fest steht aber, daß die Frage der Zuwanderung in die Bundesrepublik mit dieser Vereinbarung noch nicht einmal im Ansatz gelöst wurde.

Sehen Sie noch Chancen, die Bonner Asylbeschlüsse im Sinne einer Liberalisierung im Interesse der Flüchtlinge korrigieren zu können?

Wir setzen nach wie vor auf eine Diskussion auch in der SPD, deren Parteitag den Verhandlungsführern eine größere Zurückhaltung bei der Veränderung des Artikels 16 Grundgesetz auferlegt hatte. Wir setzen darauf, daß die Menschen, die zu vielen Tausenden in den vergangenen Wochen auf die Straße gegangen sind und für den Erhalt des Asylrechts demonstriert haben, Einfluß auf ihre Abgeordneten im Bundestag nehmen und deren Gewissen schärfen, damit sie diesem faulen Kompromiß nicht zustimmen. Interview:

Klaus-Peter Klingelschmitt