: Unglaubliche Anhäufung von Inkompetenz
■ Leichtathletik-Aktivensprecher treten aus Protest gegen DLV-Führung zurück
Berlin (dpa/taz) – Verdient hat er es schon lange, am Dienstag geschah es endlich: Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) erlebte eine schöne Bescherung. Während die Geschäftsstelle in Darmstadt wegen der Weihnachtsfeier geschlossen war, traf ein Brief mit brisantem Inhalt ein. In dem Schreiben kündigten die acht Aktivenvertreter des DLV ihren „gemeinschaftlichen Rücktritt“ an. „Wir sorgen wieder für negative Schlagzeilen, hoffen aber, damit ein Gewitter auszulösen“, erklärte Heinz Weis. Der Weltmeisterschafts-Dritte im Hammerwurf will diesen Schritt als „Protest und Mißtrauensvotum“ vor allem gegen die Verantwortlichen im Leistungssportbereich des DLV gewertet wissen.
„Wir wollen nicht weiterhin als Feigenblatt dienen“, sagte Weis. Die Aktivensprecher, darunter auch der Sportler des Jahres und 5.000-Meter-Olympiasieger Dieter Baumann, sind es endgültig leid, gegängelt zu werden. Sie werden in ihrem Bestreben nach Mitgestaltung und Mitverantwortung regelrecht behindert. Besonders die Cheftrainer hätten mangelnde Bereitschaft zur Kooperation gezeigt, und Leistungssportdirektor Blattgerste sowie Sportwart Steinbach hätten die Aktivensprecher nicht richtig informiert. „Wir wurden oft vor vollendete Tatsachen gestellt“, berichtet Weis und nennt Jahresplanung, Kader- und Sporthilfe-Einstufung als Beispiele.
Letzte Hoffnung auf Besserung versprachen sich Weis und Co. von der DLV-Verbandsratssitzung vor drei Wochen in Dierhagen, wo mit Reformen der Verbandstruktur die Weichen zu mehr Professionalität vor allem im Leistungssport- Sektor gestellt werden sollten. Die Aktivenvertreter schreiben dazu in ihrem Rücktritts-Gesuch: „Wenn man über den Verlauf der Sitzungen von Dierhagen nachdenkt, dann hat man wohl noch nie eine solche Anhäufung von Inkompetenz vorgefunden.“
Blattgerste und Steinbach, schon seit Jahren im Kreuzfeuer der Kritik und nur zu taub, um endlich vom Sport abzulassen, scheinen auch diesmal nichts zu begreifen. DLV-Sportwart Steinbach zur Protestaktion seiner Aktiven: „Das ist ein fataler Schritt, der Wirkung haben wird.“ Wirklich enttarnend ist jedoch seine Einschätzung: „Es hat auch etwas mit fehlender Solidarität zu tun. Wenn immer wieder Gruppierungen den Verband schlecht aussehen lassen, brauchen wir uns nicht wundern, wenn der DLV nicht zur Ruhe kommt.“ Steinbach scheint immer noch nicht bemerkt zu haben, daß es die Verantwortlichen wie er sind, die den DLV in die Krise und in die Unglaubwürdigkeit geführt haben.
Anstatt sich endlich mit dem oft erhobenen Vorwurf der Inkompetenz auseinanderzusetzen, schilt er: „Ich finde es leichtsinnig, Leute, die ihren Job ernstnehmen, so in den Boden zu stampfen.“
Angesichts solchen Starrsinns ist es zu begrüßen, daß die Athleten handeln. Um ihren Protest zu bekräftigen, sollen bis zum DLV- Verbandstag im April 1993 keine Aktivensprecher-Neuwahlen stattfinden. „Wir stecken nicht den Kopf in den Sand oder resignieren. In dieser Zeit werden wir eben individuell Stellung beziehen“, sagte Weis, der nun hofft, daß „die Köpfe zu rauchen anfangen“. Sportwart Steinbach, der möglichst schnell mit den Aufständlern ins Gespräch kommen will, hält von dem Aktivensprecher-Vakuum natürlich nichts: „Sie tun damit dem Verband demonstrativ etwas Schlechtes an, ihren Athleten aber auch.“
Was wirklich schlecht für sie ist, scheinen die Athleten nun besser zu wissen. miß
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen