: Somnamboulevard – Achtung, Karma-Amnestie Von Micky Remann
„Hinter dem angeblichen Geheimnis der Wiedergeburt verbirgt sich dies: Ein Käpt'n, der mit seinem Öltanker einen Felsen schrammt, wird in den nächsten hunderttausend Leben als eine im Ölschlick erstickende Ente zurückkehren!“
Das verkündet hier gerade Johannes der Whirlpool-Täufer, während er mit seinem nicht allzu großen Publikum im warmen Wasser des Somnamboul-Jordans planscht. „Diese simple inkarnationsrechtliche Vorkehrung haben nun manche Leute irrigerweise dahingehend verallgemeinert“, fährt er fort, „daß sie glauben, jede Ursache müsse eine Schuld und jede Wirkung ihre Sühne sein. Und weil die Abonnenten dieser Metaphysik nicht außerhalb ihres eigenen Glaubenssystems stehen wollten, richteten sie ihre Taten nach dem größtmöglichen Schuldgewinn aus, um ihn dann mit ihren masochistischen Unterlassungen zu sühnen. Das bescherte ihnen zwar weit unter Null liegende Lustgefühle, garantierte aber auch die Teilnahme am knirschenden Kreislauf von Ursache und Wirkung, ohne den ja im Leben angeblich nichts läuft.
Doch das ist beileibe nicht der einzige Unfug, der als Traum vom miesen Karma durch die Geister der Menschen geistert, wovon ihr euch auf dem Somnamboulevard selbst überzeugen könnt, hier, wo die unbewußten Ursachen eurer bewußt erlebten Wirkungen in Reinformat verkehren.“ Sagt der klatschnasse Johannes, während die Leute nicken, daß es tropft.
„So kommt's, daß viele in ihrem Leben sinnlos leiden, in der Hoffnung, irgendwann einmal durch ein sinnvolles Leiden belohnt zu werden. Die Möglichkeit, gar nicht zu leiden, kommt ihnen dagegen äußerst schlüpfrig vor, aber das ist ab heute anders, denn es wurde gerade, hipp hipp hurra, für alle Aussteiger aus der Schuld-&-Sühne- Sucht die große Karma-Amnestie verkündet!“ Die Leute im Whirlpool schauen sehr verdattert drein.
„Die so Amnestierten schlafen ein oder wachen auf und kennen sich selbst nicht wieder, denn sie haben auf einmal nichts mehr, weswegen es ihnen einsichtig wäre, an die Notwendigkeit ihrer Bürde zu glauben“, behauptet Johnny the Baptist.
„Und wenn ihr euch heute die Auszüge eures Karmakontos geben laßt, steht da unter ,Soll‘ dasselbe wie unter ,Haben‘, nämlich Nullkommanichts. Denn ab sofort gibt es keine Ursache und keine Wirkung mehr, sondern nur noch den Tanz von Wirsache und Urkung in einem Meer freier Taten. Basta!“ Die Leute im Pool wissen nicht, ob sie lachen oder weinen sollen. Sie schauen sich um in ihrem Karma und können keines mehr finden, dann das, was sie dafür hielten, hat sich als weggeblasener Mumpitz erwiesen. Ihr Selbst, auf dessen Identitätskrise sie so stolz waren, soll plötzlich ohne Hemd und Sühne dastehen, ohne Schuld, Wirkung, Ursache und Bikini?
Während die einen erleichtert ab über den Jordan surfen, kommen sich die anderen belämmert vor wie jene Aztekenprinzen, die tödlich beleidigt waren, weil Cortez sie nicht opfern wollte. „Übrigens“, sagt Hannes und greift zum Frotteehandtuch, „seit der Karma- Amnestie dürft ihr auch als Ente reinkarnieren, ohne zuvor einen Öltanker zu Bruch zu schippern.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen