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■ Press-SchlagAbstiegsgespenst kurzfristig gebannt

Weiß der Himmel, wer die UEFA auf den skurrilen Gedanken gebracht hat, daß ausgerechnet Bochum der ideale Austragungsort für ein Europapokalspiel der Landesmeister sei. Bei Menschen, die über Jahre hinweg unverdrossen einer Mannschaft wie dem örtlichen VfL die Treue halten, muß es sich um wahrhafte, aufrechte, inbrünstige Fußballfans handeln, dachten wohl die Verantwortlichen, da sollten doch auch die heimatlosen, der klirrenden russischen Kälte entfleuchten Moskauer von ZSKA willkommen sein. So kam das Ruhrstadion zum ersten und mit großer Wahrscheinlichkeit auch letzten Europacupspiel der Bochumer Fußballgeschichte.

Allein die Bochumer – sie interessieren sich nicht für den guten, gepflegten Fußball. Sie wollen den Abstiegskampf. Was kümmert sie der schnöde Wettstreit um die höchsten Weihen des europäischen Kickerwesens, was bedeuten ihnen technische und taktische Feinheiten, rasante Spielzüge oder Torschüsse. Ihr Herz gehört dem Gestümper am Abgrund, dem verzweifelten Anrennen gegen den Untergang, dem Katastrophenfußball, bei dem jeder Fehltritt das Aus bedeuten kann und wo am Ende doch alles gut wird. Wie sich in Neapel alljährlich das Blut des Heiligen Gennaro verflüssigt, so entrinnt der VfL Bochum alle Jahre wieder dem Abstieg. Für die Fans ist das erhebender als Europapokalgewinn und Weltmeisterschaft zusammen. Die Europäische Meisterliga ist gegen solch emotionale Wallungen nichts als kalter Kaffee.

Und so fanden sich zur Partie ZSKA Moskau gegen die Glasgow Rangers nur wenige Bochumer im Ruhrstadion ein; dennoch zeigte sich, daß die UEFA eine glückliche Hand mit der Wahl des Spielorts bewiesen hatte. Die Arena befand sich fest in schottischer und russischer Hand, 18.000 Menschen erfüllten das schnuckelige Stadion mit einem Leben und Getöse, wie es Bochum vermutlich zuletzt vor Jahren bei einer besonders gelungenen Kopfballabwehr des legendären „Ata“ Lameck erlebt hatte.

Aus den östlichen Bundesländern waren in Bussen rund tausend ZSKA-Fans angereist, Relikte der einst ruhmreichen Roten Armee, einige in voller Uniform, alle gutgelaunt und gut bei Stimme. „Scheibu, Scheibu“, brüllten sie begeistert, als ihre Lieblinge in der ersten Minute fast ein Tor erzielt hätten. Doch der Ball blieb gemeinsam mit sechs Spielern beider Seiten auf der Torlinie liegen, bevor ihn Robertson hinwegschlug. Der Stimmung tat das keinen Abbruch.

Jedesmal, wenn die Moskauer die Mittellinie überquerten, erhob sich die Rote Fan-Armee wie ein Mann, während ihre Kapelle beschwingt imperialistischen Jazz intonierte. Die eingeschmuggelten Wodkaflaschen hatten nichts zu lachen, und verschämt zeigten sich sogar einige Hammer-und-Sichel- Fahnen. Gefällig kombinierte ZSKA, doch um sich gegen das Abwehrbollwerk der Rangers zu behaupten, waren die jungen Spieler noch zu grün. Den Unterschied machte der Torwart. Während Schottlands Nationalkeeper Andy Goram solide zwischen den Pfosten stand, hüpfte sein Gegenüber Alexander Gutejew schumacherartig an jeder Flanke vorbei. So auch in der 15. Minute, als sich der Ball nach einem Preßschlag zwischen Ferguson und Fokin über den ziellos herumirrenden Gutejew hinweg zum Glasgower Siegtreffer ins Netz senkte.

Die schottischen Anhänger frohlockten und träumen vom Finale gegen den AC Mailand, die russischen Fans nahmen es nicht weiter krumm, bejubelten noch die zweitbeste Chance ihrer Mannen in der letzten Minute, die Sergejew vertändelte, machten sich fröhlich auf den langen Weg zu ihren Quartieren in Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg und freuen sich schon auf das nächste ZSKA-Heimspiel am 3.März gegen Olympique Marseille. Dann allerdings in Leverkusen.

Bochums kurze Karriere im Europapokal ist endgültig beendet, das Abstiegsgespenst darf seinen angestammten Platz im Mittelkreis des Ruhrstadions wieder einnehmen. Matti Lieske

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