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"Große Verkleisterung"

■ Flüchtlings-Initiativen kritisieren Lichterkette: Medien mitschuldig an den Pogromen / Asyl-Kompromiß bedeute Abschaffung des Grundrechts

: Medien mitschuldig an den Pogromen / Asyl-Kompromiß bedeute Abschaffung des Grundrechts

„Die Medien haben dafür gesorgt, daß die Brandfackeln geschmissen wurden. Jetzt werden die Fackeln in die Ecke gestellt und Kerzen angezündet.“ Mit diesen Worten beschrieb gestern Jürgen vom Antirassistischen Telefon die für Sonntag geplante Lichterkette an der Alster. Es könne nicht unkommentiert bleiben, wenn Zeitungen, die den Bonner Asylkompromiß als „Lösung des Problems“ feiern, ausgerechnet jetzt zu einer Volksaktion gegen Fremdenhaß aufrufen. Das Ganze sei „eine große Verkleisterung“ von Ursachen.

De facto bedeute der Bonner Asyl-Kompromiß die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Zu diesem Fazit kamen gestern Vertreter von amnesty international, dem AK- Asyl, dem Hamburger Flüchtlingsrat und anderer Initiativen auf einer nur spärlich besuchten Pressekonferenz im „Haus für Alle“ in der Amandastraße.

Das zweifelhafte Versprechen der etablierten Parteien, mit der Änderung des Asylrechts die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen, werde sich als „Spiel mit dem Feuer erweisen“, mahnte eine Sprecherin des AK-Asyl. Schon heute reisen 90 Prozent der Flüchtlinge illegal ein. Flüchtlinge wird es also auch weiter geben. Aber sie werden kein Asyl mehr beantragen und noch schneller in die Illegalität getrieben als heute. Als Folge seien verschärfte Polizei- und Grenzkontrollen nötig, die den Rassismus im Land eher noch verstärken.

Rainer Ammermann von amnesty machte an zwei Beispielen deutlich, wie unsicher die sogenannten sicheren Drittländer für verfolgte Menschen seien. In der Schweiz gilt Indien als „Nichtverfolgerstaat“, obwohl dort gefoltert wird. Österreich hat Bosnien-Herzegowina auf seiner weißen Liste. Amnesty international habe in fast allen EG-Staaten Mängel im Asylverfahren festgestellt. So wurde erst kürzlich eine Gruppe Tamilen von Rom nach Wien und auf demselben Wege zurück nach Sri Lanka geschickt, ohne daß ihr Fall ein einziges Mal angehört wurde. Österreich schickte die Menschen zurück ins „Drittland“ Italien. Für Italien waren es aus Österreich abgeschobene Asylbewerber.

Ulrike Vollmer vom Hamburger Flüchtlingsrat sieht in der geplanten Änderung nur die Legalisierung der gängigen Praxis. Schon heute gebe es in Hamburg interne Länderlisten, in die abgeschoben würde, ohne die Vorwürfe zu prüfen. Die Gerichte nähmen die Berichte der Menschenrechtsorganisationen über Zustände in Ländern wie Rumänien oder Türkisch-Kurdistan einfach nicht ernst. Die meisten Asylbewerber hätten nicht mal mehr einen Anwalt. „Wer in der Ausländerbehörde als Flüchtling allein unterwegs ist, hat keine Chance.“

Der Initiativen-Zusammenschluß kritisierte gestern auch „staatlichen und institutionellen Rassismus“ in der Hansestadt. So würden türkische Jugendliche verstärkt von der Polizei observiert und kontrolliert. Erst letzten Sonntag kam es zu einem Zwischenfall vor dem „Volkshaus der Türkei“, als Zivilbeamte ohne ersichtlichen Grund die Personalien von drei türkischen Jugendlichen kontrollieren wollten (taz berichtete). Kaija Kutter

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