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Die DDR war ein „historisch legitimer Versuch“

■ PDS will MfS-Beschluß revidieren/ Thesenpapier für den heute beginnenden Parteitag: Konzentration auf Stasi war Fehler/ MfS war humanistisch und progressiv

Berlin. Siebzehn Monate litt die Partei unter ihrem eigenen Beschluß – er kostete sie zahllose Stunden der Debatte und einige ihrer führenden Köpfe. In Berlin mußte im Sommer 1991 Wolfram Adolphi als Landesvorsitzender abtreten, im Oktober diesen Jahres folgte ihm André Brie. Dessen Abgang schließlich läutete den Rückzug des Bundesvorsitzenden Gregor Gysi ein. Sie alle stolperten über die „konsequente offene und öffentliche Auseinandersetzung der PDS mit der Problematik der Staatssicherheit“. So der Titel des Beschlusses, mit dem die PDS auf ihrem zweiten Bundesparteitag ihren Willen zur Vergangenheitsbewältigung öffentlich bekundete und den der Vorstand nun einer Revision unterziehen will.

Er sprach sich Anfang der Woche für eine Satzungsänderung aus, wonach Mandats- und Funktionsträger der Partei zwar weiterhin verpflichtet werden, ihre politische Biographie offenzulegen. Sie müssen jedoch lediglich vor ihrem jeweiligen Wahlgremium die Vertrauensfrage stellen, sollten sie dabei jedoch wesentliche Umstände „falsch dargestellt oder verschwiegen haben“. Über diese Änderung soll am 20. Dezember der Parteirat beraten. Sie soll die bisherige weit rigidere Beschlußlage ablösen, wonach ein entsprechendes Fehlverhalten automatisch die Entbindung von den Ämtern zur Folge hat.

Damit nimmt die Parteiführung Druck aus einer Auseinandersetzung, die wie keine zweite das politische Klima bei der PDS bestimmt hat, wurde der Beschluß doch, wie der Vorstand jetzt selbstkritisch feststellt, „unzweifelhaft (...) nur von Teilen der Partei akzeptiert und umgesetzt“. Der Mehrheit der Mitglieder galt und gilt die Beicht- Verpflichtung ohnehin nur als ein Tribut an „die monopolisierte politische und Medienöffentlichkeit“ und deren vermeintliches Interesse, die „DDR-Geschichte auf Repressionsgeschichte zu verkürzen“. Diesem Interesse will man nun nicht mehr so ohne weiteres nachgeben, hat es doch unter anderem dazu geführt, daß die PDS „aus Furcht, als Stasi-Partei diffamiert zu werden, die berechtigten sozialen Interessen ehemaliger Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des MfS (...) nicht nachdrücklich genug artikuliert und verteidigt“ hat. Das habe ihr, so das selbstkritische Resümee des Vorstandes, bei ihrer dortigen Klientel, aber auch bei Armee- und Polizeiangehörigen, „einen enormen Vertrauensverlust“ eingebracht und somit „insgesamt zur Schwächung der Partei geführt“.

Deshalb will sich die Partei nun von der herausgehobenen Thematisierung des MfS-Problems ab- und einer komplexen Aufarbeitung der Geschichte der DDR und der SED zuwenden. Eine erste Kostprobe dieses Unterfangens wird auf dem heute beginnenden Berliner Landesparteitag der PDS zum besten gegeben. Für die Debatte über die Vergangenheitsbewältigung hat der Landesvorstand den Delegierten ein Thesenpapier vorgelegt, das apriorisch davon ausgeht, daß die DDR insgesamt ein „historisch legitimer Versuch einer antikapitalistischen Alternative auf deutschem Boden“ war. Das Papier resümiert zwar eine Reihe von Fehlentwicklungen in Partei und Staatsapparat, kommt jedoch zu dem Schluß, daß das MfS, auch wenn zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, in seiner Gesamtheit aus Menschen mit „vorwiegend humanistischen und progressiven Motiven, die vorwiegend progressive und humane Inhalte verkörperten“, bestand.

Vor dem Hintergrund einer solchen Einschätzung ist die Revision des MfS-Beschlusses nur allzu konsequent. Etwaigen Kritikern in den eigenen Reihen hat der Bundesvorstand bereits vorab beschieden, daß „eine Haltung, die davon ausgeht, daß ein progressiver Beschluß von einer „reaktionären Mitgliedermasse“ und von „konservativen Funktionären nicht verstanden worden sei, politisch inakzeptabel“ sei. Dieter Rulff

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