■ Ökolumne: Die „Krise Ost“ ist eine Chance Von Rudolf Bahro
Als die Umfragewichtigkeit des Umweltschutzes hoch war, weil die Wirtschaft boomte, ist ökomodernisiert worden. Die deutsche Chemieindustrie etwa schrieb sich für das letzte Jahr acht Umweltschutzmilliarden gut. Jetzt will sie weniger hineinstecken. Ernstlich beklagen kann das nur, wer sich noch nicht vor Augen geführt hat, daß uns die Grundlast des Industriesystems umbringt, und daß diese Grundlast, der Umsatz von Material und Energie pro Kopf, mit den großen Investitionen wächst. Selbst wenn es im eigenen „überentwickelten“ Lande zu relativen Entlastungen käme, kann die Naturbelastung im Weltmaßstab nur zunehmen, solange wir empfehlend weitermachen mit unserem großindustriell fundierten Lebensstil und seine Weltzerstörungslogik mit Ökogeschwätz kaschieren.
Klaus Töpfer hat zum diesjährigen „Umwelttag“ erklärt, es habe „der Zusammenbruch der Wirtschaft in den neuen Ländern in erheblichem Umfang zur Entlastung der Umwelt beigetragen“. Natürlich würde die Schließung von Hoechst, Bayer, BASF und so weiter noch mehr dazu beitragen – nicht nur lokal. Es könnte die Rettung der Erde damit beginnen. Töpfer aber bat die Industrie um „ökologisches“ Weitermachen. Kämpfen wir weiter für Arbeitsplätze, und hoffen wir ökosozial auf die Rückkehr des Booms?
Entsetzt über das „bißchen“ Gewalt von heute, vermeiden es die Leute, sich die sozialen Zustände auf einem endgültig geplünderten und vergifteten Planeten vorzustellen. Sie verteidigen das Asylrecht – und scheinen nicht zu wissen, daß der Westen mehr als Zugangsbeschränkungen, daß er das Golfkriegsarsenal bereithalten muß, solange wir bei unseren Ansprüchen bleiben, vor allem den auf einen nicht nur ökologisch unvertretbaren Lebensstil. Die kolonialistische Gewalt gegen Erde, Menschen, Leben ist eingebaut, ist struktureller Art. Wenn wir ökolibertäre City-Bewohner bleiben wollen, sollten wir wenigstens aufhören, „Ökolumnen“ zu schreiben und zu lesen, damit die Täuschung und Selbsttäuschung wegfällt.
Was möglich wäre, wenn wir wirklich wollten, zeigt die Situation in der Ex-DDR, deren Krisencharakter mehr denn je eine über(ost)regionale Chance ist. Auf eine Lösung über neue Arbeitsplätze ist dort nicht zu hoffen – wie für den größten Teil der Menschheit nicht. Selbst wenn das vereinigte Deutschland imperial seinen Anteil am Weltmarkt entsprechend vergrößern könnte, gingen die Investitionen schwerlich ost.
Also können die Menschen nicht über Jobs versorgt werden, nicht über jene spezielle Art des Zugangs zu den Lebens-Mitteln, wie sie mit der Trennung der Arbeitskraft vom Boden und den Arbeitsmitteln durch die „ursprüngliche Akkumulation“ zwingend wurde. Es braucht vielmehr massenhafte Gelegenheit zu selbstbestimmter Selbstversorgung, und wenn man etwas vom Staat verlangen soll, dann, daß er die grundlegende existentielle Ungerechtigkeit und Unordnung beheben hilft, die mit dieser Trennung, mit der berühmten „doppelt freien“ Lohnarbeit gegeben ist.
Statt der Geschenke an Investoren sowie von den ohnehin fälligen Alimenten für Arbeitslose könnten zahllosen Leuten um die 100.000 bis 200.000 DM für die Investition in Lebensarbeitsplätze angeboten werden – ausdauernd, weil der Mut für das Abgewöhnte erst wachsen muß. Kleinteiligkeit ist entscheidend, nicht, ob sich die Menschen privatunternehmerisch, produktivgenossenschaftlich oder kommunitär auf neue Wege machen. Es sind für die ganze Ex-DDR kleinteilige Industrie- und Agrarstrukturen denkbar, realpolitisch, weil kostensparend am Gesamthaushalt!
Es ginge unter zwei Voraussetzungen: die Bereitschaft, zugunsten einer anderen Lebensqualität mit weniger vom Üblichen auszukommen. Die andere, ohne die es, aufs Ganze gesehen, Krepelei bliebe, wäre ein gemeinsames politisches Unterdach für die fünf neuen Länder innerhalb der Föderation, zum Zwecke einer solchen Sonderwirtschaftszone, wie sie jetzt Metropolenländer nötig haben. Käme so ein manifester Typ anderer Entwicklung zustande, verträglich auch mit einem Landschaftsschutzgebiet Ostdeutschland, hätte das Bedeutung sogar über Deutschland hinaus.
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