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Bündnis 90 Brandenburg probt den Alleingang 93

■ Eine zweite Urabstimmung soll über einen „eigenständigen Weg“ entscheiden/ Landesdelegierte lehnen mehrheitlich Fusionsvertrag mit den Grünen ab

Frankfurt/Oder (taz) – Der jüngste der Delegierten, ein Schüler aus Potsdam, macht aus seiner Befürchtung keinen Hehl. Auf der Landesdelegiertenkonferenz in der Oderstadt Frankfurt hält der Youngster seinen Parteifreunden die alte Erfahrung „Getrennt marschieren, vereint verlieren“ vor: „Bei Wahlen neun Prozent und trotzdem nicht im Parlament“. Er warnt zu Recht. Denn unter den Delegierten des Brandenburger Bündnis 90 setzten sich am Wochenende diejenigen durch, die einen eigenständigen Weg des Bündnisses favorisieren und eine Fusion mit den Grünen ablehnen, also Konkurrenz bei den nächsten Wahlen geradezu heraufbeschwören.

Mit 40 gegen acht Stimmen beschließen die Delegierten des zweitstärksten Landesverbandes, eine zweite Urabstimmung abzuhalten. Wenn es entsprechend dem „Assoziationsvertrag“ von Ende November in den jeweiligen Landesverbänden zu einer Abstimmung über eine Fusion mit den Grünen kommt, muß die 700 Mitglieder starke Basis nun parallel auch darüber befinden, ob sie „einen eigenständigen Weg des Bündnis 90 in Brandenburg ermöglichen“ will. Was harmlos klingt, bedeutet für den Fall eines „Ja“ die Trennung, den Ausstieg der Brandenburger aus der bundesweiten Organisation.

Der streckenweise erbittert geführten Diskussion liegt ein grundsätzlicher Dissenz über Politikkonzepte zugrunde. Prominenter Vertreter eines „eigenständigen Weges“ ist Fraktionschef Günter Nooke. Der weitere Weg des Bündnisses muß seiner Meinung nach in eine „liberale ökologische Organsiation“ münden. „Quer durch alle Parteien“, ist eines der Schlagworte. Das Bündnis müsse in der Lage sein, ökologische Positionen aus dem gesamtem demokratischen Spektrum zu intergrieren, auch für Mittelständler attraktiv sein. Wer sich dagegen wie die Grünen „im links-alternativen Spektrum einordnet“, hat sich nach Nookes Auffassung bereits „an den Rand der Gesellschaft“ begeben.

Die grüne Partei wird zwar langfristig als Bündnispartner begriffen, doch vorerst möchte man, so etwa ein Delegierter aus Königs Wusterhausen, konkrete Probleme lösen, mit der CDU und auch „mit einigen guten Leuten in der PDS“.

Vergeblich wirbt der Bonner Bundestagsabgeordnete Werner Schulz für die Assoziation mit den Grünen. Der dazu ausgehandelte Vertrag sei beileibe auch kein „Beitritt“. Von einer Vereinnahmung könne keine Rede sein – das Statut der Grünen werde mit dem Vertrag immerhin in 27 Punkten verändert. Schulz warnte auch vor „mecklenburgischen Verhältnissen“. Wenn in Brandenburg bei der Landtagswahl 1994 neben Bündnis 90 auch noch Grüne und Neues Forum kandidierten, werde womöglich keine der drei Parteien den Sprung über die Fünfprozenthürde schaffen. Die Mehrheit der Delegierten verweist auf die Erfolge, die aus der Beteiligung an der Potsdamer Ampelkoalition erwachsen. Trotz mischt sich auch in das Gefühl der eigenen Stärke. Wie bei einem Senftenberger Delegierter: „Ich will nicht die 27. Strömung bei den Grünen sein.“

Einige finden sich zwischen den Polen wieder, wie der Brandenburger Bundestagsabgeordnete Konrad Weiß. „Wütend, entäuscht und traurig“, war er, als er das Fusionspapier erstmals in Händen hielt. Weil eine Landespartei aber keine Alternative sein könne, fordert er die Delegierten auf, für eine Annahme des Vertrages zu werben. „So, wie der Vertrag jetzt ist“, könne er nicht Mitglied der neuen Organisation werden. Weiß setzt auf Nachverhandlungen, wenn Mitte Januar in Hannover die Bundesdelegiertenkonferenzen der Grünen und des Bündnisses den Vertragstext endgültig paraphieren. Die Brandenburger werden dort allerdings in der Minderheit sein. Mit deutlichen Mehrheiten empfehlen die anderen Landesverbände ihren Mitgliedern die Fusion. Wolfgang Gast

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