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Friedensfeiern mit Buhrufen in El Salvador

■ Getrennte Veranstaltungen zum offiziellen Ende des Bürgerkrieges

San Salvador (taz) – Tag der Nationalen Versöhnung: unter diesem Motto wurde am Dienstag in El Salvador das offizielle Ende des zwölfjährigen Bürgerkrieges begangen. Doch nach dem Festakt mit den ausländischen Ehrengästen feierten die ehemaligen Kriegsgegner getrennt. Während die Regierung das Volk mit einer kolumbianischen Musikgruppe und einem Fußballmatch ins Cuscatlan-Stadion lockte, nahm die ehemalige Guerillabewegung FMLN die Straßen um das Flor- Blanca-Stadion in Besitz und unterhielt ihre SympathisantInnen mit revolutionären Liedern, Tanzmusik und Theaterdarbietungen.

Die Zeremonie begann mit einer Schweigeminute für die 75.000 Opfer des Krieges. In den Reden der Politiker schien kein Superlativ zu überzogen für das Ereignis zu sein, das einen Neubeginn, ein demokratischeres Zeitalter einleiten soll. UNO-Generalsekretär Butros Ghali, dessen Vorgänger Javier Pérez de Cuéllar vor einem Jahr den Waffenstillstand zustande gebracht hatte, resümierte in seiner Ansprache vor 3.000 geladenen Gästen die Ziele des Friedensprozesses: „politische Lösung des bewaffneten Konflikts, Demokratisierung des Landes, Garantien für die Menschenrechte und Wiedervereinigung der salvadorianischen Gesellschaft“. Nur das erste Ziel sei wirklich erreicht worden, aber vor allem die Umsetzung des vierten sei noch weit entfernt: „Es gibt Salvadorianer, die in ihren Herzen den Krieg fortsetzen.“ Daher appellierte Ghali an Toleranz und forderte die ehemaligen Kriegsgegner auf, Andersdenkende zu akzeptieren.

Zu dieser Toleranz bekennen sich zwar die politischen Führer beider Seiten, wenn sie öffentliche Erklärungen abgeben, doch im Volk verankert ist sie noch lange nicht. Das zeigte sich, als der FMLN-Comandante Shafik Handal, der in seiner Rede der von Militärs ermordeten Priester gedachte, von lauten Buhrufen aus dem Publikum unterbrochen wurde. Die unter den Geladenen zahlreich vertretenen Anhänger der regierenden rechtsextremen ARENA-Partei reklamierten damit den Mord an sechs Jesuitenpatres und anderen Geistlichen als patriotische Tat der Armee. Nur die öffentliche Danksagung an Kuba und die Sandinisten für ihre solidarische Hilfe löste ein noch größeres Pfeifkonzert aus.

Shafik Handal kündigte außerdem an, die FMLN würde sich von einem „schmutzigen Krieg“ nicht einschüchtern lassen. Andeutungen verschiedener ARENA-Kader und Informationen aus diplomatischen Quellen lassen befürchten, daß die extreme Rechte in den nächsten Tagen eine Hexenjagd auf ehemalige Guerilleros entfesselt. „Als die Auseinandersetzung begann, hatten wir auch keine Waffen. Trotzdem wußten wir uns zu wehren“, warnte Handal.

Für die angenehme Überraschung des Tages sorgte US-Vizepräsident Dan Quayle, der ankündigte, George Bush werde der salvadorianischen Regierung drei Viertel der bilateralen Schulden, etwa 464 Millionen Dollar, erlassen. Die Kosten für den wirtschaftlichen Wiederaufbau werden auf 1,6 Milliarden US-Dollar geschätzt. Nur für die Hälfte dieser Summe gibt es bisher verbindliche Zusagen aus verschiedenen Ländern. Und davon ist bis jetzt ein knappes Drittel ausgezahlt worden. Nicht zuletzt deswegen geht die Übertragung von Ländereien an ehemalige Guerilleros und Soldaten so schleppend voran. Viele von den Kämpfern, die sich als Kinder dem Kampf anschlossen und am Montag ihre Waffe abgaben, stehen vor dem Nichts, solange das Landproblem nicht gelöst ist. „Der bewaffnete Konflikt ist beendet“, heißt es in einer Botschaft der FMLN, „doch die Wirtschaftsordnung in El Salvador begünstigt weiterhin einige wenige, bringt Armut und Ausgrenzung der Mehrheit hervor und zerstört die Umwelt. Unter diesen Umständen ist die demokratische Revolution die Alternative zur Überwindung der Krise.“ Diese Alternative zu entwickeln zählt zu den wichtigsten Herausforderungen der neuen FMLN. Ralf Leonhard

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