: Dranbleiben statt rausorientieren
■ Jugendzentren in Hamburg: Wer schlicht fordert "Nazis raus", muß auch die Frage "Wohin?" beantworten. Die Sozialpädagogen versuchen, verunsicherten Jugendlichen Orientierung zu geben, statt ihnen...
in Hamburg: Wer schlicht fordert »Nazis raus«, muß auch die Frage »Wohin?« beantworten. Die Sozialpädagogen versuchen, verunsicherten Jugendlichen Orientierung zu geben, statt ihnen mit dem moralischen Zeigefinger zu kommen.
Sie sind zusammen zur Schule gegangen, haben zusammen gespielt und gemeinsam Banden gebildet, um sich mit den Jungs aus dem Nachbarviertel zu kloppen, Deutsche und Türken, Kurden und Polen, Jugoslawen und Chilenen, Kinder aus zehn Nationen in einem Haus der Jugend in Hamburgs Westen. Bis 1989. „Dann, im Jahr der Maueröffnung“, erinnert sich der Heimleiter, habe es eine Trendwende gegeben, daß alles, was deutsch, männlich und jugendlich war, plötzlich rechte Sprüche klopfte. Zur Antifa-Demo nach Horn anläßlich von Hitlers Geburtstag im April '89 wollten sie nicht mehr mit. „Für Ausländer demonstrieren wir nicht“, hatten sie gesagt. Man habe schließlich vier deutschen Jugendlichen, von denen bekannt war, daß sie sich regelmäßig mit Skins treffen, empfohlen, nicht mehr zu kommen. In Folge seien auch einige Jugendliche ferngeblieben, die sich dieser Gruppe
1989 kamen plötzlich die rechten Sprüche
nahe fühlten. „Wir grenzen offen rassistisch auftretende Jugendliche bewußt aus“, sagt der Pädagoge. Bei den übrigen nach rechts gewendeten Jugendlichen wollte man aber „dranbleiben“.
Das Haus der Jugend ist in diesen Tagen geschlossen. Personalmangel. Vakante Erzieherstellen
1sind heutzutage nur schwer zu besetzen, der Beruf wird schlecht bezahlt. Nur Interessengruppen können tagen, so die hauseigene Antifa-Gruppe, die sich nach den Ereignissen von Rostock konstituierte. Die Fernsehbilder von der applaudierenden Bevölkerung vor der brennenden Asylunterkunft in Lichtenhagen hatten schockiert.
„Den Jugendlichen wurde bewußt, daß es ein Unterschied ist, nur vom Bombenschmeißen zu reden oder es tatsächlich auch zu tun.“ Die verbal rechten Jugendlichen wollten mit den militant rechten Jugendlichen nicht mehr in einen Topf geworfen werden. Und Mölln? Was hat Mölln verändert? „Daß sich jetzt auch die Kinder von Immigranten-Familien bedroht fühlen.“ Und daß zur Zeit alle deutschen Jugendlichen bei den ausländischen Jugendlichen unten durch seien.
Was hat Mölln verändert? Friede-Freude-Lichterkette, kommt das irgendwo an? Was sagen die Adressaten von Appellen à la „Stoppt den Haß“? Eine Frage, die im Augenblick schwer zu beantworten ist. Rechte Jugendliche, so scheint es fast, sind ein Phantom. Allüberall verweisen Erzieher und Sozialarbeiter auf benachbarte Einrichtungen. Je weiter weg, desto rechter. Geht man näher ran, so ist es ein oder zwei Jahre her, daß man echte Probleme hatte, und es sind auch meist nur ein oder zwei Jugendli-
1che, die ernsthaft in rechtsradikale Kreise eingebunden waren. Die vorherrschende Tendenz dabei: Rechte Häuser finden sich vermehrt in wohlhabenderen Stadtteilen, in denen der Ausländeranteil sehr gering ist.
„Richtige Neonazis schmeißen wir raus“
„Dramatisierende Berichte in den Medien“, so ärgert sich ein anderer Heimleiter, verschlimmerten nur das Problem. Sein Jugendhaus soll kürzlich von 50 Neonazis überfallen worden sein. Eine absolute Falschmeldung, wie er sagt. Die Auseinandersetzung habe mit rechts und links nichts zu tun gehabt. Außerdem sei es nicht vernünftig, Leute, die rechts denken, in eine Ecke mit Neonazis zu stellen. „Die, die wirklich dahin gehören, die schmeißen wir raus.“
Für Ulrich Vieluf, den Sprecher der Hamburger Schul- und Jugendbehörde, stellt sich überhaupt die Frage, ob es legitim ist, Rechtsextremismus zu einem Phänomen der Jugendlichen hochzustilisieren. Denn die Stichwortgeber seien andere. „Die Tatsache, daß die Fackeln von Jugendlichen geschmissen werden, heißt nichts.“ Nur mache sie das Problem gesellschaftlich bearbeitbar. Und das sei das Verführerische.
In Hamburg gibt es rund 200 Jugendzentren und Jugendtreffs, al-
1lein 38 staatliche Häuser der Jugend. Keine andere Großstadt hat eine solche Dichte an Einrichtungen, sagt Wolfgang Hammer vom Amt für Jugend. Orte, an denen deutsche, türkische, afghanische, kurdische, jugoslawische Kids zusammenkommen, betreut von Erziehern und Sozialarbeitern, die in der Regel eher links eingestellt sind.
Mit den Problemen des Rechtsradikalismus beschäftigt sich das Hamburger Amt für Jugend schon seit zehn Jahren. „Alles, was fachlich und pädagogisch möglich ist, haben wir in Hamburg entwickelt“, sagt Wolfgang Hammer, der Leiter der Abteilung Jugendarbeit in der Hamburger Schulbehörde. Man habe aus den Fehlern der frühen 80er gelernt, als übertriebene Polizeieinsätze gegen linke Punks am Spritzenplatz zur Eskalation führten.
Man habe immer ein Interesse gehabt, auf die rechte Jugend-Szene zu reagieren, habe Träger und Personen gesucht, die sich darauf einlassen, mit rechten Jugendlichen zu arbeiten. Sei es mit dem gezielten Einsatz von Straßensozialarbeitern, Projekten für sogenannte „Lücke- Kinder“ zwischen 10 und 13 Jahren, die für Kindergärten zu alt und für Jugendzentren zu jung sind, oder die Einrichtung des HSV-Fan- Projekts.
Auch sei es im Prinzip nicht falsch, von einer Aufteilung in
1rechte und linke Jugendzentren zu sprechen. Das Ergebnis einer Umorientierung der letzten fünf Jahre: Die einfache Forderung „Nazis raus“ mußte auch mit einem „Wohin“ beantwortet werden. Was aber nicht bedeutet, daß dort rechte Kultstätten entstanden wären. Überhaupt müßte man „höllisch aufpassen, daß die Sozialarbeiter nichts verstärken“. Das Gelingen der Arbeit hänge oft von der Persönlichkeit der Betreuer ab. Erzieher und Sozialpädagogen seien häufig Leute, die Schwierigkeiten haben, mit autoritätsfixierten Personen umzugehen. Auch birgt die Tatsache, daß immer mehr Einrichtungen für immer mehr Zielgruppen geschaffen wurden (Vieluf), ein weiteres Problem: Viele Treffs sind nur Ein- oder Zwei-Mann-Betriebe mit entsprechend spärlichen Öffnungszeiten. Am Wochenende sind die meisten Einrichtungen dicht.
Am Wochenende sind die Häuser dicht
Ein solcher Ein-Mann-Betrieb ist das Haus der Jugend in Duvenstedt. Als der Sozialpädagoge Kai Kummetz die Einrichtung vor vier Jahren übernahm, dominierte dort eine Gruppe rechter Jugendlicher. Kummetz: „Es mußte entschieden werden, ob die Gruppe vor die Tür gesetzt wird oder ob sie bleibt.“ Sie blieb. Heute seien immer noch Rechtstendenzen da, aber es seien
1auch viele abgesprungen. Lediglich einer, der parteipolitisch organisiert war, sei „rausorientiert“ worden. Kummetz: „Ich hab das Gefühl, ganz so schlecht habe ich
Viele suchen ihr Weltbild, sie wollen provozieren
wohl doch nicht gearbeitet.“ Jetzt dreht er mit den ehemaligen Skins Videofilme. Erst einen über „Liebe, was ist das“, dann einen über die Asylproblematik. Er habe versucht, die Jugendlichen so zu akzeptieren, wie sie sind, und nicht mit dem moralischen Zeigefinger zu kommen. „Wir gehen nicht davon aus, daß die Jugendlichen rechtspolitisch sind.“ Viele suchten noch ihr Weltbild, versuchten mit Symbolen zu provozieren. Und in einer polarisierten Situation sei es halt einfach sicherer, auf einer Seite zu stehen. Und Mölln? Kaum Thema im Haus.
Kummetz: „Anfangs wurde spekuliert, daß es keine rechten Täter waren. Seitdem das aber klar ist, ist es ruhig geworden.“ Und Rostock? Am Anfang hätten die Jugendlichen gesagt: „Ist ja ganz nett, aber ein bißchen heftig vielleicht.“ Dann hätten auch diese Ereignisse bei den Jugendlichen eine Schmerzgrenze überschritten. „Hauptsache dranbleiben“: eine Haltung, die sich lohnt?
Als Matthias Lenzmeier vom Jugendzentrum Barsbüttel zur Demo nach Mölln fuhr, wollte von seinen Jugendlichen keiner mit. „Die haben in der Schule diese Schweigeminuten mitgemacht. Mehr nicht“, erzählt der Sozialpädagoge. Seiner Ansicht nach hat auch ein „positiver Rassismus“ dazu beigetragen, daß die Jugendlichen in die Opposition gehen: die Tendenz also, Ausländern grundsätzlich nur Gutes zuzuschreiben. Man müsse sie ernst nehmen, wenn sie sagen, daß sie schlechte Erfahrungen gemacht haben. Wenn die Jugendlichen erzählen, daß ihnen in der U-Bahn von türkischen Jugendlichen die Jacken geklaut werden, dann könne man nicht sagen: Das stimmt nicht. „Dann kann man nur sagen, 'Stell eine Strafanzeige und verallgemeiner das nicht‘.“
Barsbüttel ist eine wohlhabende Schlafstadt im Osten Hamburgs, in der kaum Ausländer wohnen. Auch so ein Stadtteil, bei dem eine rechte Szene vermutet wird. Die Sozialarbeiter vor Ort reduzieren das Problem heute auf ein bis zwei Querdenker. Lenzmeier: „Wenn es das Jugendzentrum nicht gäbe, dann wäre es nicht so.“ Kaija Kutter
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