■ Press-Schlag
: What is that: cricket?

Ab und an reißt unser Autor aus Aachen aus, um im Ausland fremde Welten zu erforschen und seinen Freund, den König von Tonga, zu besuchen. In Melbourne stieß Bernd Müllender auf eine ihm bislang unbekannte Sportspielform – der er rettungslos erlegen ist.

Melbourne (taz) – Cricket! Amazing cricket! Dieser uns Kontinentaleuropäern so fremde Sport – Team1 wirft und will Hölzchen (Wickets) von Hölzern wegballern, Team2's Schläger (Batsman) schützt sein Wicket durch Wegknüppeln des Balles, dem wiederum Team1-Fänger hinterherlaufen, während die Batsman die entscheidenden Runs machen – dieser Sport, er präsentiert sich immer erregender. Etwa Mittwoch abend zwischen Australien und den West Indies, dem gemeinsamen Team der Karibischen Inseln in der Welt größtem Cricket-Stadion zu Melbourne, das mit 75.000 Menschen auch gut halb gefüllt war.

Die Aussies hatten zuerst schlagen und rennen dürfen und mäßige 198 Runs nach 300 Bällen geschafft. Locker holten die Indies aus Fernwest in ihrer dreieinhalbstündigen Halbzeit auf und waren knapp eine Stunde vor Schluß schon relativ weit in Führung. Doch Cricket kennt Relativität nicht und plötzlich zwirbelten die Aussie- Werfer die Kugeln so raffiniert, daß sie wie panische Känguruhs vor den zunehmend verzweifelten Schlägern aus den Indies aufhüpften und die Wickets wegrasierten oder daß die gegnerischen Batsmen, wenn sie schon mal keine Luftlöcher schlugen, den Ball weit in den Himmel droschen und die australischen Fänger sie sicher aus der Luft pflückten, was eines jeden Batsmans sofortiges und schmachvolles Aus bedeutet.

Mit dem letzten Ball hätte alles noch mal kippen können. Vier Runs auf einmal hätten den Indies zum Sieg gereicht, und siehe, ihr letzter verbliebener Batsman jagte den Ball Richtung Tribünen, aber ein allerletzter verzweifelter Aussie rannte hinterher und wahrlich, er schnappte sich das Bällchen und die großen Favoriten, und die scheinbaren Sieger waren die Besiegten. Die Massen tobten entsprechend, diese thrilling Sekunde war Lohn genug für sieben Stunden Warten. Grandioser Sport, zweifelsfrei – aber irgendwie kommt es dem cricketkulturfremden Beobachter so vor wie ein Fußballspiel, das aus 89,9 Minuten Warmmachen besteht, und die geschickteren Dehnübungen werden in der einzigen Spielszene letztsekündlich mit Elfmeter belohnt. So oder so ähnlich. Aber wir arbeiten daran, das zu verstehen.