piwik no script img

Genüßliches Kreuzfeuer

■ Arno Schmidt als Bildungsbetrüger denunziert

Arno Schmidt war ein ganz Schlauer. Er protzte mit Bildung, die er gar nicht besaß und alle fielen drauf rein: Lektoren, Kritiker und Wissenschaftler. Mit dem Mythos vom verkannten Genie, dem allwissenden Herrscher über Bücher und Zettelkästen, räumt Martin Henkel in seiner intelligent- provokanten „Studie zu Wesen, Werk und Wirkung Arno Schmidts“ mit dem Titel „BLUFF auch mare ignorantiae, oder: Des King's neue Kleider“ auf.

Knapp zwanzig Jahre, nachdem Arno Schmidt (1914-1979) in „Sitara oder der Weg dorthin“ mit großer Aufklärergeste das Phänomen Karl May als „Produkt einer Eros-Verdrängung nicht alltäglichen Ausmaßes“ entzaubert, denunzier Henkel den gebürtigen Hamburger als Hochstapler und dessen Werk als „Überkompensation von Halbbildung, unter der er litt.“ Der Bochumer Sozialwissenschaftler weist nach, daß viele der fremdsprachlichen Zitate schlicht falsch sind. Anstelle von profunder Bildung habe Schmidt nur über „Lexikonwissen“ und „Bildungsbrocken trivialen Niveaus“ verfügt. Um sein angeblich „vielseitiges Universitätsstudium“ in Breslau zu begründen, habe Schmidt seine Geburt auf 1910 vordatiert, und in seinem Werk mit astronomischen Berechnungen, Formeln und Karten Eindruck geschunden. „Diese Pseudoexaktheit ist es, die immer noch viele Leser auf Schmidt hereinfallen läßt.

Man glaubt ihm, weil scheinbar alles stimmt. In Wirklichkeit stimmt nichts, nur die läppischsten Nebensächlichkeiten.“ Wie schon der Titel – eine Anspielung auf Schmidts Roman „Kaff auch mare Crisium“ (1960) – verrät, nimmt Henkel die von Schmidt vorgegebene und von seinen Anhängern huldvoll nachgebetete „Gelehrtensprache“ auf.

Nach seiner Deutung gab es demnach drei Arno Schmidts: A.S.I, die reale Person mit Realschulabschluß, die A.S.II erfand, den allwissenden Schriftsteller, der in seinem Werk Ich-Erzähler (A.S.III) auftreten läßt, die viel mit A.S.II gemeinsam haben, nichts aber mit A.S.I. „Mehr als Schmidts Bücher interessierte mich allerdings seine Anhängerschaft“ sagt der 49jährige. Genüßlich führt der studierte Theologe die Gläubigkeit der Untertanen vor. „Natürlich ist da Lust an der Provokation dabei, aber auch am Amüsement“, sagt Henkel. Die Gemeinde der „Schmidtianer“ samt Gemeindeblatt Bargfelder Bote näherten sich dem „Meister nur auf Knien“ – allen voran „Häuptling“ Jörg Drews, Germanistikprofessor in Bielefeld, aber auch der „unsägliche Lobhudler Hans Wollschläger“ oder ein „naiv Gläubiger wie Wolfram Schütte“.

Bei seiner Analyse greift Henkel die Ergebnisse seiner Untersuchung „Narziß und Goldstein“ von 1986 über die Bhagwan-Sekte auf. Auch die Mitglieder der Schmidt- Sekte seien ihrem Guru derart hörig, daß das „Dechiffrier-Syndikat“ selbst da Ostereier (=Rätsel) findet, wo Schmidt gar keine versteckt habe. Auch hätten die Jünger nicht nur den angeblich so politischen und sogar gerichtsverfolgten BRD-Kritiker Schmidt überschätzt, sondern auch den Sprachkünstler, dessen Wortwitze (oft mit denen von James Joyce verglichen) nur „Pennäler- oder Kasernenhofniveau“ hätten. Nach Henkels Interpretation ist Schmidt der „unironische Deutsche“, seine menschlichen Züge „Pedanterie, Lebensferne, Prüderie“. Schmidt sei in seiner ganzen Mentalität „ein Spießer par exellence“. Henkels Anliegen ist, „die kritische Schmidt-Leserschaft zu stärken“. Er zeigt sich überzeugt, daß viele den „Bildungs-Bluff längst durchschaut haben, es aber nicht auszusprechen wagen“. Ausnahme: er selbst. Reinhard Helling

Martin Henkel: „BLUFF auch mare ignorantiae oder: Des King's neue Kleider. Eine Studie zu Werk und Wirkung Arno Schmidts“, Kellner Verlag Hamburg, 106 Seiten, 28,-DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen