: Frühe Stammesriten-betr.: "Sind Konfliktforscher konfliktunfähig?", taz vomm 10.12.92
Betr.: „Sind Konfliktforscher konfliktunfähig?“,
taz vom 10.12.92
Ich habe eine wichtige Kleinigkeit anzumerken zu dem Artikel, wichtig insofern, weil meine patriarchatskritischen Anmerkungen zu dem Konflikt so verstanden werden könnten (dafür spricht Reiner Steinwegs Anmerkung), als würden sie nur der Übelbehandlung von Frauen gelten. Die archaischen Umgangsformen im Berghof-Konflikt gelten aber vor allem in der Schlußphase auch bis über den Rand einer schmerzhaften Lächerlichkeit in dem „Männerbund“ Stiftungsrat selbst. Sie erinnern mich an frühe Stammesriten. Da wurden die Beschlußunterlagen zu Geheimmaterial erklärt; kein Beteiligter durfte sie behalten, außer einem „Auserkorenen“. Diese Geheimhaltungsmentalität hat aus Sicht einer kritischen Friedens- und Konfliktforschung mindestens zwei recht problematische Konsequenzen.
1.In dem asymmetrischen Konflikt wurde auf diese Weise das Informations- und Interpretationsmonopol besonders nach außen gesichert. (Ich hoffe, daß dies mißlingt.)
2.Es widerspricht einer mühsam erarbeiteten friedensforscherlichen Ethik. Unter kritischen FriedensforscherInnen, zu denen sich die Handelnden in diesem Konflikt selbst zählen, gibt es ein ungeschriebenes Einvernehmen, daß wir auch als geheim klassifizierte Materialien, auf die wir – meist zufällig – in unserem Forschungsprozeß stoßen, veröffentlichen. Der Berghof-Stiftungsrat jedoch produziert selbst „Geheimmaterial“. Mir ist keine produktive Konfliktlösungsstrategie bekannt, in der Geheimhaltung dieser Art eine hilfreiche Rolle spielt. Astrid Albrecht-Heide,
Hochschullehrerin für Sozialisa-
tionsforschung an der TU Berlin
und Mitglied des Netzwerkes
Friedensforscherinnen
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