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In den Fluß den dicken Leib!

■ Nochmal Brecht: Das Uni-„Theater der Versammlung“ spielte „Brecht für Manager“, einen Versuch zur Ökonomie der Zuneigung

Frau Perger führt ihr langes Schwarzes aus, umgibt sich mit Schmuck und Schminke, plinkert unablässig verbindlich mit den Wimpern und ist mütterlich. Frau Schönberg läuft hinter ihren Model-Beinen her, strahlt Zuversicht und Käuflichkeit aus und sagt: „Ich weiß, daß ich schön bin.“ Herr Messinger hat Gardemaß und gelernt, daß sowohl offensichtliche Schwäche als auch kämpferische Selbstbehauptung der Karriere schaden. Frau Illich hat mit den Waffen der Männer gekämpft, und das sieht man ihr an. Herr Fiedler hat immer eine Schulter hochgezogen.

Eine Stunde „Managertraining“ für Angestellte, die von Führungskraft träumen und Tippse oder Abteilungsleiter sind. Mit einem professionell abgehärteten Trainer (Wolfgang Kuhlmann, Lehrer!) und Publikum: das sind wir, 50 Leutchen einem Turmzimmer des Schlachthofs. Ein „szenischer Versuch“ der Studentenbühne „Theater der Versammlung“, letzte Woche Donnerstag.

Das Publikum ist Bestandteil des Ereignisses; das wird sofort klar, wenn der Trainer seine durchsichtigen Psycho-Tricks aus der Tasche zieht. Beispielsweise Schweigen. Endloses Schweigen. Auf Teufel komm raus. Dann räuspern wir uns zeitgleich mit den Akteuren, rutschen mit ihnen auf unseren Stühlen rum, kichern gemeinsam und hysterisch.

Es ist offensichtlich: Unsere Vorturner haben lächerliche Masken an, mehrere übereinander, und die müssen nun dran glauben. Zu dem Zweck wird Erfolgs-Messinger (Kai Stadelmann) gedemütigt, Angst-Fiedler (Dirk Reiche) vorgeführt, der Vamp (Maike Rühaak) auf die Emanze (Sabine Kuhangel) gehetzt. Die Mütterliche (Angela Franke) fällt im Rollenspiel aus der Rolle. Kein lautes Wort vom Trainer, aber unwiderstehliche Gesten — man hat schließlich viel Geld ins Fortkommen investiert.

Man fetzt sich, es wird laut, es wird depressiv; dann ein Spiel: Brechts „Baal“. Ein Spiel um die Ökonomie der Zuneigung, gegeben hier als geschäftliche Verhandlung.

Es brechen sich entgegen den Spielregeln immer wieder Emotionen Bahn. Der antibürgerliche Rebell Baal wird gebraucht als Projektionsfigur für die Führungsetage, wo Amoralität und Vitalität entscheidend sind, beides hinreichend signalisiert durch den Dreitagebart. Wer Gefühl zeigt, verliert. Baal zur Geschwängerten: „Leg ihn in den Fluß, deinen dicken Leib.“

Das „Theater der Versammlung“ des Regisseurs mit Lehrauftrag Jörg Holkenbrink hat sich nach langen Jahren eine Platz an der Uni erkämpft. Stücke wie die „Peepshow“ nach Tabori bewiesen, daß ein heikles Konzept aufgehen kann: Theaterinteressierte StudentInnen wählen sich ein Thema, engagieren Hochschullehrer verschiedener Fachrichtungen, forschen, spielen, und doch kommt was heraus.

Das hohe Maß an Verbindlichkeit, das Holkenbrink verlangt, erklärt zum Teil die ungewöhnlich dichten und gar nicht laienhaften Arbeitsergebnisse, an denen schon das Bremer Theater Interesse zeigte.

Unerläßlicher Bestandteil der Aufführungen des TdV ist die anschließende Diskussionsrunde mit Zuschauern, die ja die ganze Zeit beteiligt waren, aber nichts sagen durften.

Und regelmäßig zeigt sich, daß Menschen existenziell erschüttert wurden. Wie der, der in zwei Figuren seinen eigenen Schizo wiederfand. Aufgeregt war auch der Techniker, der genau sowas schon mal in einer Schulung erlebt hatte. Wunderschön zu sehen: In Gestik und Körpersprache ähnelte er stark dem verklemmten Fiedler, der im Stück Computerflicker, privat als Dirk Reiche Techniker ist. Nur besser reden konnte der Zuschauer — er hatte auch schon mehrere Rhetorik-Seminare hinter sich.

Wir erlebten eine sorgfältig durchchoreografierte Inszenierung, die uns doch in Verwirrung stürzte: Der Abstand zwischen Person und Rolle der Spielenden ist nicht bzw. wird jedesmal wieder neu definiert. Der Verzicht auf Bühnenbild, Kostüm und Maske, die Rollen, die wie maßgeschneidert sitzen, als wären sie aus der jeweiligen Persönlichkeit entnommen, führen zu dem Eindruck, wir wohnten einer eher privaten Veranstaltung bei.

Angela Franke gibt selbst an, daß sie Angela Franke spielt, mit dem Erfolg, daß sie über sich lachen kann. Dirk Reiches Knie zittern, je größer das Publikum ist; das Zittern kommt ihm sehr zupaß für Herrn Fiedler.

Dem Holkenbrink-Theater eilt von alters her der Ruf einer psychotherapeutischen Vereinigung voraus. Das ist sicher falsch und neidet dem TdV die Sprengkraft, die es aus seinem Konzept gewinnt. Doch ein Grenzgang bleibt es, wenn die „Versammelten“ gleichzeitig mit sich selbst sich selber spielen. Burkhard Straßmann

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