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Zehntausendfaches Licht im grauen Nieselregen

■ „Eine Stadt sagt Nein“: Zur Aktion Lichterkette kamen trotz des unfreundlichen Wetters Tausende aus den warmen Wohnzimmern

„...der Vater im Hiiiiimmel für Freude uns macht...“ trällert es unter dem Nieselregen zwischen den Kleingärten am Weser-Stadion, da sangen ein paar Kleine „Ihr Kinderlein kommet“ und bei dem „Hiiimmel“ treffen ja auch größere Sänger den Ton erst nach und nach. Andere Kinder hatten ihre St.-Martins-Laternen praktischerweise mitgebracht. Die meisten Erwachsenen hatten Kerzen in Plastik-Bierbechern, in Senf-Gläsern oder einfach mit Papier- Krause, um die Hand gegen das tropfende Wachs zu schützen — Zehntausende waren nach dem verregneten 4. Advent doch noch einmal ein paar Schritte rausgegangen, um mitzumachen bei der Lichterkette und um zu sehen, wer alles kommt — nachdem die ganze bremische Prominenz angesagt war von Hansgünther Heyme bis Herdis Zernial.

Zum Glück erkannte man im Dunkeln fast gar niemanden, das machte alle gleich. In Grüppchen gingen sie da hin und her, das „Eine-Stadt-sagt-Nein“ im Kopf, standen und sangen Kirchenlieder oder politische Songs, ganz vereinzelt hatten einige ihren Transparente mitgebracht. Der Demokratische Arbeiterverein aus der Türkei, DIDF, beschallte die Friedrich- Ebert-Brücke per Lautsprecherwagen. Offenbar, um den zivilen Charakter der Aktion zu unterstreichen und Sonntags- Zulagen zu sparen, hatte die Polizei das Technische Hilfswerk (THW) um Hilfe bei der Verkehrsregelung gebeten. Doch die meisten waren zu Fuß gekommen.

Von der Erdbeerbrücke bis zur Sielwall-Fähre hatte die Idee einer Lichterkette an der Weser den Nachteil, daß die Neustädter Weser-Seite nicht bewohnt ist — dort blieb es weitgehend dunkel, während auf der Seite des Steintors die Menschen dicht gedrängt zur Weser hin und, durchgepustet und durchnäßt, wieder zurück strömten.

Das Zentrum der Lichterkette war zwischen der Ebert- und der Stephani-Brücke, wo samstags der Flohmarkt ist. Von der abgesperrten Brücke aus war auch die beste Sicht auf die anderen - und jenes Bedürfnis gehört zweifellos mit zu dem Ereignis: die Lichterkette, die man selber bildet, auch in großer Perspektive quasi von oben zu sehen. Deshalb werden sich vorm Fernsehschirm auch zehnmal mehr mit dieser Aktion indentifizieren können als tatsächlich dabei waren.

Vor den Fernseh-Bildschirmen wird es dann gemütlich warm und trocken sein und es wird auch ein Kommentar dazu gesprochen werden, der diese anrührende Mischung aus Weihnachten und Kerzenschein und Demonstration mit einer Erklärung versieht. Die Aktionsform der Lichterkette selbst ließ die Teilnehmer nämlich ohne einen organisierten Höhepunkt: Keine Rede, kein Feuerwerk, kein Sportflugzeug, das die entscheidende Parole hinter sich herzieht. Das läßt einen im ersten Moment etwas ratlos zurück und vielleicht haben viele im zweiten Moment den Raum entdeckt, der dadurch für die eigenen Gespräche frei bleibt. K.W.

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