: Manager im Schlafsack auf der Wiese
■ Oberneulander Besetzer halten die Stellung / Die Fohlenwiese Symbol des Widerstands
Eine Handvoll Wohnwagen sind auf der grünen Wiese zu einer Wagenburg zusammengestellt. Stromkabel ziehen sich über den Boden, Glühbirnen reihen sich zwischen den Wohnwagen zu einer Lichterkette. Einige Strohballen türmen sich um die Camping- Wagen, zwischendrin ragt ein Mietklo für dringende Fälle. Kein Zweifel: Diese wilden Camper sind gut ausgestattet. Vor sieben Wochen haben sie die Fohlenwiese in Oberneuland besetzt. Große Schrifttafeln künden von den „übergeordneten Interessen“ der Besetzer: „Bremen im Drogenchaos! Öffentliches Dealen und Spritzen wird vom Senat illegal geduldet!“ — „Drogencontainer in Wohn- oder Erholungsgebiete? Nein!“
Beim Heizlüfter im Wohnwagen hält Helene Wrede mit dickem Buch die Stellung. Drei Stunden hat sie laut „Wachplan“ an der Wand Dienst, dann kommt die Ablösung. Die Besetzerin findet es „ganz entsetzlich, einfach einen Container für diese mehrfach Kranken auf die Wiese zu stellen“. Sie ist „sehr traurig“, daß den Oberneulandern vorgeworfen wird, sie seien intolerant — dabei „sind wir sehr bemüht, eine humanere Unterbringung zu finden“.
Einen therapeutischen Bauernhof, beispielsweise könnte sich Helene Wrede auch in Oberneuland vorstellen, „wo diese Leute auch einen gewissen Rhythmus und Tagesablauf haben und selbstverantwortlich arbeiten. Davon träumen wir.“ Langweilig wird es ihr nicht, so allein im Wohnwagen. „Sehr häufig bekommt man Besuch.“ Wenn nicht, erledigt sie Weihnachtspost.
Über die friedlichen Weihnachtstage ist der Rund-um-die- Uhr-Dienst gesichert. Die Oberneulander Fohlenwiesen-Besetzer halten auch nach dem Verwaltungsgerichtsurteil, das die Aufstellung der Container für obdachlose Junkies genehmigt hat, die Stellung. „Wir haben einen gut organisierten Apparat“, sagt Hasso Nauck, der Sprecher der Besetzer stolz: „Die Wiese ist rund um die Uhr bewacht, und mit Telefonketten kriegen wir in einer halben Stunde Hundertschaften auf die Wiese.“
Daß er in der Nähe der Fohlenwiese wohnt, ist für Hasso Nauck „weniger der Grund, warum ich da kämpfe“. Der Geschäftsführer einer Bremer Schokoladenfirma besetzt „aus der Sache heraus. Weil das Sozialstaatsprinzip sich nicht darin erschöpfen kann, schwer
kranke Menschen in Containern abzuladen, in der Hoffnung, daß sich das Problem irgendwann dadurch löst, daß die sich den Goldenen Schuß setzen.“ Verantwortlich für „das Problem“, das „wegen seiner Fülle die Verantwortlichen überrollt hat“, macht Nauck den „krankhaften Liberalismus: Man hat nichts mit diesen Leuten gemacht“. Der Oberneulander fordert: „Durchgreifen! Mit Konzepten durchgreifen! Positionen beziehen!“ Doch welche? Hasso Nauck: „Ich kannn nicht derjenige sein, der die Rolle der Politik übernimmt. Mein Hauptberuf nimmt mich 14 bis 16 Stunden am Tag in Anspruch.“
Wenn Bremens Sozialpolitiker in Hasso Naucks Betrieb arbeiten würden, wären sie schon „fristlos entlassen“. Doch weil man Politiker nicht so einfach los wird wie unfähige Mitarbeiter, hat Hasso Nauck jetzt eine alte Sponti-Parole für sich entdeckt. Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt heißt, in die Sprache des Geschäftsführers übersetzt: „Sich wehren lohnt sich wieder. Man darf die Vorgaben des Staates nicht blind hinnehmen. Auf die Barrikaden steigen ist ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung.“ Dabei geht es ihm gar nicht nur um Oberneu
land. Schließlich habe der Stadtteil für die community der Stadt eine Funktion als Naherholungsgebiet. „Eine Katastrophe, das zu zerstören“, findet Nauck.
Der Oberneulander Besetzer fühlt sich als „Vorreiter“. Die Fohlenwiese ist für ihn längst „zum Symbol des Widerstandes geworden. Darum ist sie für mich unantastbar.“ Daß die demokratisch gewählten Mehrheiten in den Beiräten schlicht ignoriert würden, empört ihn. Doch mit Hausbesetzern möchte der politische Aktivist nicht gleichgesetzt werden. „Das ist ein ganz anderes Thema: Die wollen etwas, das sich im Privateigentum befindet, zweckentfremden.“ Lieber vergleicht sich Nauck mit den Hamburger Eltern, die eine Schule besetzten, weil die Turnhalle für Asylbewerber geöffnet werden sollte. „Das fand ich toll.“ Und schließlich sind die Besetzer von Oberneuland auch nicht irgendwer: „Da sind Anwälte, Ärzte, Oberste Richter, die Manager Bremens übernachten dort im Schlafsack auf der Wiese. Die Verantwortlichen in der Politik werden alles dransetzen, daß sie da nicht räumen müssen. Denn sie wissen, wen sie vor der Schippe haben.“
Diemut Roether
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