: Das Sein im Fernsehdesign
■ Essener Ausstellung „Unser Fernsehen! Vom Pantoffelkino zum Home-Terminal“
Wer anders als die Bild-Zeitung hätte zuerst zu vermelden gewußt, daß das deutsche Fernsehen nach zehn Jahren Präsenz im bundesrepublikanischen Wohlstand den Kinderschuhen entwachsen war und nun begann, das Leben in deutschen Wohnzimmern zu verändern. Bild am Sonntag meldete am 3.2.1963: „Der Absatz an Hausschuhen stieg in den letzten Jahren sprunghaft. 'Industrieform‘-Chef Dr. Mahlberg: 'Das Fernsehen ist das Filzlatschenkino.‘“ Ein Begriff war geboren. Pantoffelkino – biedere Metapher einer medialen Revolution. Sie sagte viel darüber aus, wie behaglich die neue Kultur des Ersatzes sein sollte. Theater, Oper, Film und Sport im Fernsehformat – zwar aus zweiter Hand, aber dafür mit der Gemütlichkeit des trauten Heims und dem Naschwerk aus der „Telebar“.
Wie das Fernsehen unser Leben verändert hat, wie sich das neue Möbel erst in den Haushalt einschlich und sich dann zum Wohnzimmermittelpunkt entwickelte, zeigt die Austellung Unser Fernsehen! Vom Pantoffelkino zum Home- Terminal, die das Design-Zentrum Nordrhein-Westfalen zum 40jährigen Bestehen der deutschen TV- Kultur gestaltet hat. Ob die audiovisuelle Zukunft allerdings aus jedem Wohnzimmer ein Fernsehstudio mit Amateur-Video-Schnitteinheit, Multimedia-Wand und Computer-Vernetzung macht, darüber ist sich der geplagte Vielseher im globalen Mediendschungel noch nicht klar. Was sich aber die Vorfahren in der TV-Steinzeit bereits an skurrilen Verbesserungen zur optimalen Nutzung des Bildschirms einfallen ließen, davon legt die Ausstellung Zeugnis ab.
Zunächst gab sich der Guckkasten mit den rundlichen Kanten eher bescheiden. Da das neue Disign nicht recht zum Nußbaumfurnier der Schrankwand paßte, versteckte die Industrie ihr Gerät in Kommoden („Fernsehtruhen“), deren rustikale Ausführung und kunstvolle Verzierung eher auf ein mittelalterliches Foltergerät denn auf ein modernes Röhrenwunder schließen läßt. Manche Hausfrau nähte Gardinen, um das tote Fischauge des Ungetüms nach dem Konsum hinter dem Vorhang verschwinden zu lassen. Merkwürdigerweise kam jedoch niemand auf die Idee, so einen netten Überzug zu häkeln, wie es sie für Telefone gibt. Fernsehen war schon immer etwas nüchterner. Der Kasten verlangt einfach Respekt.
Die Schamfrist war schnell vorbei. Schon in den sechziger Jahren drängte sich das Möbel in den Vordergrund. Die Familie gruppierte sich im Halbkreis um den Fernseher. Kronleuchter-Hersteller mußten Konkurs anmelden, wenn sie nicht rechtzeitig auf indirekte Beleuchtungskörper umstellen konnten. Sogar die Tapetenindustrie rüstete um, als Fachleute zu helle Tapeten für störenden Fernsehempfang verantwortlich machen. Stolz bekannte man sich zum Gerätebesitz: 1961 waren 5 Millionen Geräte angemeldet, 1964 schon 9 Millionen. Mit der steigenden Zahl der Fernseher kündigten sich erste Probleme an. Peter Frankenfeld leistete in Hör Zu mit zehn Ratschlägen erste Hilfe: „Ratschlag 5: Kein Bild, aber Ton. Sie sitzen auf der Rückseite des Gerätes.“
Doch gegen Ende der ersten euphorischen Jahre ungehemmten Fernsehkonsums schrillten Alarmglocken. Eine Schülerin klagte 1967 unter der Rubrik „Fragen Sie Frau Irene“ in Hör Zu: „Um 16 Uhr 30 kommt Vater nach Hause. Dann fängt der Fernseher an zu dudeln. Dabei kann ich mich nur schwer auf meine Schularbeiten konzentrieren.“ Frau Irene wußte auch keinen rechten Rat außer der Flucht zur Freundin mit fernsehfreier Bude. Es begannen harte Fernseh-Zeiten: in den siebziger Jahren setzte man das TV dem Vorwurf der schädlichen Veränderung der Freizeitgewohnheiten aus. Kinder und Fernsehen, die Vielseher, der Untergang der Kinokultur, die Verödung menschlicher Kommunikation – plötzlich ist die Glotze nicht mehr Fenster zur Welt, sondern das gefährlichste Instrument der Bewußtseinsindustrie. Der amerikanische Autor Jerry Mander verlangte gar die totale Abschaffung des Fernsehers. Doch immer, wenn der globalen Fernsehkultur die Stagnation oder gar der Overkill droht, rettet sich die Industrie mti einer technischen Innovation aus der Schlinge. Anfang der Siebziger sind es die vielen bunten Farben, in den Achtzigern der Softporno aus dem Viderecorder und heute die digitalen Wonnen des HDTV.
Die Ausstellung reagiert auf das Phänomen Fernsehkultur mit einer Präsentation, die allenfalls die Facetten der Entwicklung anzudeuten vermag. Eine Nische mit Nierentisch, Musiktruhe und Tütenlampen aus den fünfziger Jahren, ein „Skulpturengarten“ mit TV-Monolithen der neunziger Jahre, die nach Design aussehen wollen, aber weiterhin so häßlich wirken, wie Fernseher nun mal sind, und ein paar vergilbte Zeitungsausschnitte über die Anfänge. Wirklich verblüffend ist eigentlich nur, wie sehr das Design der Geräte die Sehgewohnheiten bestimmt. Erst nach längerem Hinsehen fällt einem auf, daß das schwarzweiße Geflimmer auf dem Graetz-Gerät im Nierentisch-Ambiente eine aktuelle Ausgabe der „Tagesschau“ ist. Doch bei diesem eher zufälligen Streifzug mit ein paar amüsanten Details zur Fernsehgeschichte bleibt es. Nur eine Erkenntnis nimmt der Besucher mit: in 40 Jahren Fernsehalltag hat zwar häufig die Mode gewechselt, aber unter all dem Design verbirgt sich ein Sein, das ziemlich nackt aussieht. Wie riet doch Peter Frankenfeld in seinen Fernsehtips: „Ratschlag 10: Das Programm ist schlecht? Ihr Apparat ist in Ordnung!“ Christof Boy
Im Design-Zentrum Nordrhein- Westfalen, Essen, bis 31. Januar.
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