Lebenslanger Vollrausch dank Binnerbier Von Ralf Sotscheck

Millionen Menschen in Großbritannien und Irland stellten am Neujahrstag die brennende Frage: Wird mit der Vollendung des europäischen Binnenmarktes Alkohol billiger? Die Frage ist berechtigt, kostet auf den Inseln doch eine Flasche Liebfrauenmilch – nicht gerade die Perle unter den Weinen – umgerechnet zehn Mark. Zumindest für die SüdengländerInnen hat die Not jetzt ein Ende: Der französische Kanalhafen Calais ist nur einen Katzensprung entfernt. Dort schießen die Getränkemärkte wie Pilze aus dem Boden, denn seit Freitag dürfen 120 Flaschen Wein, 110 Liter Bier und 10 Liter Schnaps zollfrei nach Großbritannien importiert werden. Ein Ehepaar mit zwei erwachsenen Kindern und einem Kleinlastwagen kann sich also mit einer einzigen Überfahrt einen lebenslangen Vollrausch sichern. Das kann freilich auch Tücken haben.

Vor drei Jahren brachte Guinness Dosenfaßbier auf den Markt, das den etwas umständlichen Vorläufer in Flaschen ablöste. Bis dahin erhielt man nämlich zu jedem Sechserpack eine kleine Plastikspritze, mit der man dem zunächst schalen Getränk Leben einhauchen mußte. Zerbrach die primitive Spritze jedoch schon nach der ersten Flasche und nach Ladenschluß, war man verratzt. Erfahrene Trinker hielten deshalb immer eine Ersatzspritze bereit. Doch auch das nützte wenig, wenn die Konzentration nach der zehnten Flasche nachließ und das Guinness in der Spritze nicht im Glas landete, sondern auf der Krawatte des Co-Trinkers. Die neue Erfindung in Dosen funktioniert ohne operativen Eingriff und erfordert keinerlei Konzentration. Auf dem Boden der Dose befindet sich eine Plastikkapsel, die mit einer Mischung aus Guinness und Flüssiggas gefüllt ist. Beim Aufreißen der Dose entsteht Druck, der das Gemisch durch ein kleines Loch in der Kammer preßt und der eingedosten Flüssigkeit täuschende Ähnlichkeit mit einem gezapften Guinness verleiht. Das Dosenbier vom Hahn ist ein Verkaufshit.

Doch kurz vor Silvester – neben Weihnachten Hauptsaison für Schnapsläden – tauchten Meldungen auf, wonach mindestens vier Menschen scharfe Plastikteilchen im Bier gefunden haben. Seitdem verspürt der 34jährige Bergarbeiter Duncan Thorburn aus Nottingham ein Kratzen im Hals. Seine Mutter hatte ihm zwölf Dosen gekauft, und ausgerechnet bei der letzten passierte es dann: Im Glas schwamm „etwas Ungewöhnliches“. Darüber hinaus war das Getränk völlig schal. Thorburn kippte sich das Plastik-Guinness dennoch hinter die Binde, schickte die leere Dose am nächsten Tag aber per Einschreiben an die Brauerei. Der Konzern weigerte sich jedoch, das Produkt, von dem man bisher immerhin 200 Millionen Stück verkauft hat, vom Markt zu nehmen. Der leitende Guinness-Angestellte Brian Beanland sagte, Ärzte hätten bestätigt, daß die Plastikschrapnelle höchstens bei Kindern Schaden anrichten könnten. „Aber das ist ja kein Produkt, das Kinder trinken sollten.“ Außerdem wies er nicht zu Unrecht darauf hin, es sei „recht unwahrscheinlich, daß normale Trinker schales Bier in sich hineinschütten“. Andererseits befand sich Thorburn in einer Notlage: Es war schließlich die letzte Dose.