: Staatsposse hält Nicaragua in Atem
Die von der Opposition boykottierte Nationalversammlung ist von der Polizei abgeriegelt, Präsidentin Chamorro verordnet eine „Junta“, und die Rechte spricht von „Staatsstreich“ ■ Aus Managua Ralf Leonhard
„Ein Staatsstreich“, polterte Luis Sanchez, Ex-Vizepräsident der nicaraguanischen Nationalversammlung. Luis Humberto Guzman, einer der Bewerber um das Amt des neuen Parlamentspräsidenten, fürchtet „gravierende Konsequenzen für die ausländische Hilfe“. Einige Abgeordnete zogen Parallelen zu Perus Präsident Alberto Fujimori, der im April das Parlament in die Wüste schickte und seither per Dekret regiert.
Ist seine nicaraguanische Kollegin Violeta Chamorro, dieses Symbol für Freiheit und Demokratie, mit ihrem Latein am Ende? Hat auch sie die Militärs gerufen? Oder haben sich im Silvestertrubel gar die Sandinisten an die Macht geputscht? Nichts dergleichen ist passiert. Doch ein seit vier Monaten tobender Konflikt zwischen Nicaraguas Staatsgewalten steuert nun seinem Höhepunkt entgegen: In einer verfassungsrechtlich umstrittenen Entscheidung verfügte die Präsidentin am 29.Dezember die polizeiliche Abriegelung des Parlaments und erklärte die Amtszeit des bisherigen Parlamentspräsidenten Alfredo Cesar für beendet. Eine provisorische „Junta“, die entsprechend den Bestimmungen der Geschäftsordnung aus den beiden ältesten und den beiden jüngsten Abgeordneten besteht und am folgenden Tag vereidigt wurde, soll die bevorstehende Neuwahl der Parlamentsleitung am 9.Januar leiten. Der bisherige Parlamentspräsident Alfredo Cesar, der die Nationalversammlung in ein Bollwerk der Rechtsopposition umfunktioniert hatte, darf dabei nicht wiedergewählt werden.
Der Anlaß für die Zwangsmaßnahmen der Exekutive ist die Weigerung Cesars, einen Spruch des Obersten Gerichtshofes anzuerkennen, der alle Handlungen des Parlaments seit dem 2.September und alle seither verabschiedeten Gesetze für null und nichtig erklärt. Am 2.September war die Fraktion der Sandinisten aus Protest gegen ein Manöver Cesars aus dem Plenarsaal marschiert. Die Fraktion der Regierungspartei Union Nacional Opositora (UNO) hält zwar mit 51 von 92 Sitzen die Mehrheit in der Nationalversammlung, doch hat sich eine sogenannte „Zentrumsgruppe“ von acht Abgeordneten dem scharfen Rechtsoppositionskurs der UNO-Parlamentarier gegen Chamorro widersetzt und stimmt in kritischen Fällen mit den Sandinisten. Als sich in jener Sitzung des 2.September auch Teile dieser Gruppe zurückzogen, verblieben noch 46 Abgeordnete im Saal. Damit hätte die Sitzung eigentlich abgebrochen werden müssen, da die Geschäftsordnung ein Quorum von mindestens 47 Abgeordneten vorschreibt. Doch unterlief den Sandinisten, wie die Anwälte Cesars formaljuristisch zu Recht argumentierten, ein Fehler: Der Bruch des Quorums hätte durch neues Abzählen nachgewiesen und in den Sitzungsprotokollen festgehalten werden müssen. Da von den verbleibenden Abgeordneten aber keiner an dieser Feststellung Interesse hatte, unterblieb die erneute Zählung. Damit begann ein radikaler Durchmarsch der verbliebenen Konservativen: Das Rumpfparlament, dessen Quorum in späteren Sitzungen durch willige Stellvertreter von boykottierenden Abgeordneten ergänzt wurde, hievte zwei bedingungslose Hardliner auf die vakanten Posten des ersten und dritten Sekretärs und begann eine Reihe von Gesetzesprojekten vorzubereiten, die vor einem kompletten Parlament in diesen Fassungen nicht einmal durch die Ausschüsse kommen würden. Sie würden die zwischen Sandinisten und Regierung ausgehandelten Übergangsprotokolle, die einen reibungslosen Machtwechsel ermöglicht hatten, umstoßen. Violeta Chamorro weigert sich seit September, diese Gesetzesvorlagen des Parlamentes zu ratifizieren.
Cesar, der Wackelpudding
Der 40jährige Alfredo Cesar, der sich als junger Intellektueller im Kampf gegen Somoza auf die Seite der Sandinisten geschlagen hatte, machte sich einst einen Namen als geschickter Wirtschaftsexperte, der für die Revolutionsregierung die heiklen Umschuldungsverhandlungen mit den internationalen Finanzinstitutionen führte. Doch bald überwarf er sich mit den Sandinisten, trat als Zentralbankchef zurück und emigrierte nach Costa Rica. Dort bildete er eine eigene, zunächst unbewaffnete Oppositionsgruppe, die sich später mit dem Haudegen Eden Pastora und dem Miskito-Indianerführer Brooklyn Rivera zusammentat. Unter der Federführung der CIA wurde er schließlich in ein vereinigtes Contra-Direktorium gesetzt und nahm 1988 in dieser Funktion den Dialog mit der sandinistischen Führung auf. Als ein Abkommen greifbar schien, brach er die Verhandlungen ab und zog sich wieder auf kriegerische Positionen zurück, bis er hinter dem Rücken der übrigen Contra-Führung die Teilnahme an den vorgezogenen Wahlen 1989 beschloß. Auf der Liste Violeta Chamorros zog er als Spitzenkandidat ins neue Parlament ein. Dort wurde er vor zwei Jahren auf Bitte des Präsidialministers Antonio Lacayo auch mit den sandinistischen Stimmen zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählt. Unmittelbar darauf brach er mit der Chamorro-Regierung, der er vorwirft, zuviel Rücksicht auf die Interessen der Sandinisten zu nehmen. Das ständige Wechseln des Bündnispartners hat Cesar den Spitznamen „Sieben Dolche“ eingetragen.
Fünf Tage Zittern
Der Machtkampf um die Kontrolle der Nationalversammlung müßte sich am 9.Januar entscheiden, wenn Sandinisten und Zentrumsgruppe nach vier Monaten Boykott in den Plenarsaal zurückkehren. Sie hätten es rechnerisch in der Hand, einen Kandidaten für den Parlamentsvorsitz durchzusetzen und schlagen den Wortführer der Zentrumsgruppe, Gustavo Tablada, vor.
Die UNO-Fraktion hat aber vor Weihnachten beschlossen, keinesfalls einen Mann der Dissidentengruppe zu akzeptieren. Ihr Kandidat, der Christdemokrat Luis Humberto Guzman, gilt als kompromißfähig, beharrt aber auf der Gültigkeit der vom Obersten Gerichtshof annullierten Gesetze.
So wie die Dinge stehen, wird sich die Tradition des Rumpfparlaments wohl etablieren — nur, daß diesmal die andere Hälfte zum Boykott greift. Denn die von Chamorro veranlaßte „Junta“, deren Vereidigung von der UNO boykottiert wurde, besteht aus Sandinisten: Der 77jährige Domingo Sanchez und die knapp über 20jährigen Maria Ramirez und Carlos Gallo. Orlando Buitrago, der einzige UNO-Mann, blieb auf Anweisung seiner Partei „aus Gesundheitsgründen“ zu Hause.
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