■ Ministerpräsident Li Peng in Shenzhen
: Nach Canossa

Der gerade abgeschlossene Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng in der nahe Hongkong gelegenen Wirtschaftssonderzone Shenzhen kam einem Gang nach Canossa gleich und hat gezeigt, daß der Reformkurs Deng Xiaopings, dem die „Ereignisse“ vom Juni 1989 ein Ende bereitet zu haben schienen, inzwischen auch von den konservativsten Elementen in der chinesischen Führung wieder anerkannt wird – wenn auch mit Zähneknirschen.

Zwei Jahre lang hatte die chinesische Politik auf der Stelle treten müssen, weil die Entscheidungsorgane in Beijing vom parteiinternen Streit zwischen dem Deng-Xiaoping-Flügel und der reformfeindlichen Fraktion des 89jährigen Chen Yun gelähmt waren. Das „Zwar-Aber“ beherrschte sämtliche Diskussionen und Verlautbarungen.

Chen Yun wollte den Vorrang der Planung gegenüber dem Markt aufrechterhalten, forderte Priorität für das Staatseigentum und die Staatsbetriebe und lehnte vor allem den „übertriebenen“ Zufluß ausländischen Kapitals ab, gar nicht zu reden von seinem Widerwillen gegen die Ausgabe von Aktien, gegen die Zulassung von Betriebskonkursen oder die Förderung des Privatunternehmertums.

Zum Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzungen aber wurde der Kampf um die Wirtschaftssonderzonen, die aus Dengs Sicht Modelle für Chinas Zukunft, aus Chen Yuns Perspektive jedoch Krankheitsherde zum Tod des „Sozialismus chinesischer Prägung“ sind. Deng Xiaoping, der in Beijing für seinen Standpunkt keine Mehrheit finden konnte, brach im Februar und März 1992 aus den Beengungen der Hauptstadt aus und besuchte demonstrativ die Sonderzone Shenzhen, wo ihm ein begeistertes Publikum zujubelte. Das von Dengs Reden ausgelöste Echo fand in ganz China Widerhall und brachte auch die Beijinger Konservativen in Zugzwang. Beim XIV. Parteitag im Oktober 1992 wurden Dengs Leitlinien allen Widerständen zum Trotz vom offiziellen Kurs „für die nächsten 100 Jahre“ erhoben. Der Besuch Li Pengs, eines der Hauptrepräsentanten des konservativen Flügels in Shenzhen, hat gezeigt, daß sich nun auch die „Betonköpfe“ ins Unvermeidliche fügen.

Rückblickend nehmen sich die Ereignisse vom Juni 1989 wie eine Delle aus, die freilich um so häßlicher – und unverständlicher – wirkt, je mehr sich China „renormalisiert“, das heißt sich wieder auf seinen bereits 1978 eingeschlagenen Reformkurs zurückbegibt. Oskar Weggel

Der Autor arbeitet am Institut für Asienkunde, Hamburg