: Chaos, Staus und viele Beulen
■ Überfrierende Nässe macht den Gang vor die Haustür zur Glückssache/ Tiefdruckgebiet Rachel ließ die Temperaturen steigen
Berlin. Nichtsahnend trat so mancher gestern morgen vor die Tür, um wie üblich seinem Tagwerk nachzugehen, doch plötzlich: Rumms, sitzt er auf seinem Hintern oder fällt ungünstigstenfalls auf die Schnauze. Und wer war schuld? Natürlich wieder die Ausländer. In diesem Falle war's die Rachel aus Island. So nämlich tauften die Meteorologen ein Tiefdruckgebiet aus dem nordwestlichen Europa, das die Temperatur innerhalb von 24 Stunden um 20 Grade ansteigen ließ. Obendrein brachte es Regen mit, der auf dem noch tiefgefrorenen Boden sofort zu Eis wurde. Die Folge: Straßen und Wege verwandelten sich in Rutschbahnen. Die Berliner Stadtreinigungs-Betriebe (BSR) arbeiteten auf Hochtouren, um der chaotischen Lage Herr zu werden: Seit Mitternacht waren knapp 200 Streufahrzeuge unterwegs. Die 800 „Handreiniger“ machten sich dann um fünf Uhr morgens an die Arbeit.
Verkehrssenator Haase (CDU) rief den „Notsalzplan“ aus. Bis zum Mittag wurden an Kreuzungen und Steigungen rund 150 Tonnen Salz ausgestreut. Nach diesem Plan darf das Salz nicht nur auf Autobahnen und Bundesstraßen, sondern auch auf kleineren Straßen zum Auftauen eingesetzt werden. Dennoch war die Situation auf den Straßen, vor allem in den Außenbezirken, kritisch. Die Zahl von 850 Verkehrsunfällen zeigte, daß es sich viele Autofahrer trotz der Glatteis-Warnungen vom Vortag nicht verkneifen konnten, mit ihrem besten Stück den Arbeitsplatz anzusteuern. Meistens hatten nur die Karossen zu leiden, in 21 Fällen trugen aber auch die wagemutigen Icespeedway-Fahrer Verletzungen davon.
Frommer Wunsch des Verkehrssenators
Viele Berlinerinnen und Berliner waren vernünftiger. Rund 20 Prozent mehr Menschen als sonst nutzten die öffentlichen Verkehrsmittel. Die BVG hatte alles im Griff, wenn es auch im Busverkehr wegen Staus vereinzelt zu Problemen kam, und der Verkehrssenator freute sich. Er dankte den Bürgern für ihr „umsichtiges Verhalten angesichts des plötzlichen Glatteises“ und äußerte einen frommen Wunsch: „Es wäre schön, wenn diejenigen, die heute witterungsbedingt auf die BVG umgestiegen sind, auch künftig mehr Gebrauch von den öffentlichen Verkehrsmitteln machen.“
Hochbetrieb im Gipsraum
Aber auch der Gang zur Haltestelle war nicht gerade ungefährlich. Rund 270 Berlinerinnen und Berliner, die per pedes unterwegs waren, stürzten so unglücklich, daß sie in Krankenhäuser gebracht werden mußten. In den Unfallstationen herrschte Hochbetrieb. Vor allem Patienten mit Arm- und Beinbrüchen, aber auch viele mit Verletzungen am Kopf mußten von Ärzten und Pflegern behandelt werden.
Ein wirklich turbulenter Wintertag war dieser Mittwoch, und es ging – oft im wahrsten Sinne des Wortes – so richtig rund auf Berlins Straßen. Das Wetteramt gibt indes Entwarnung. In den nächsten Tagen dürften Temperaturen, die am Tage bis auf acht Grad ansteigen und auch nachts nicht unter Null fallen, den letzten Frost aus dem Boden vertreiben. Niederschläge haben damit – zumindest bis zum nächsten Kälteeinbruch – keine Chance mehr, sich in tückisches Glatteis zu verwandeln.
Harte Zeiten für Schlittschuhläufer
Für die Fans des Schlittschuhlaufs brechen nun aber weniger schöne Zeiten an. Hatten die arktischen Temperaturen der letzten Tage die Berliner Seen noch zu idealen Sportstätten für Kufenkünstler gemacht, bringt das Tauwetter das Eis nun zum Schmelzen. Die Polizei warnt daher eindringlich vor dem Betreten der Eisflächen. Beobachtungen aus der Luft per Hubschrauber hätten gezeigt, daß das auf den ersten Blick recht tragfähige Eis an einigen Stellen eine Dicke von nur einem Zentimeter aufweist. noko
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