: Entscheiden tut weh
■ Heute kein Urteil über das Ende des Honecker-Prozesses erwartet
Berlin (dpa) – Nach dem Ausscheiden des Vorsitzenden Richters Hansgeorg Bräutigam wird das Berliner Landgericht im Prozeß gegen den ehemaligen DDR- Partei- und Staatschef Erich Honecker am Donnerstag keine Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens treffen. Honecker- Anwalt Nicolas Becker sagte am Mittwoch, das Gericht habe signalisiert, daß es für einen Beschluß noch eine gewisse Zeit brauche. Becker rechnet nicht damit, daß am 13.Verhandlungstag schon erneut Sachverständige zum Gesundheitszustand des schwer krebskranken 80jährigen gehört werden.
Unterdessen hat Nebenklägervertreter Hanns Ekkehard Plöger ein gewisses Entgegenkommen in der Frage einer Haftentlassung Honeckers erkennen lassen. Allerdings müßte zuvor die Krebsdiagnose feststehen, sagte Plöger. Bei den jüngsten ärztlichen Untersuchungen hatten Mediziner des Haftkrankenhauses in Berlin-Moabit festgestellt, daß der Leberkrebs weiter an die Leberpforte herangewachsen sei. Ihr Erreichen gilt als tödlich. Becker erwartet, daß der Berliner Verfassungsgerichtshof unabhängig vom Landgericht noch im Januar eine Entscheidung über das Weiterführen des Honecker-Prozesses treffen wird. Honecker habe das Ausscheiden Bräutigams begrüßt, sagte Becker weiter. „Er fand es eine richtige Entscheidung.“
Bräutigam war nach einem Beschluß seiner Kammer am Dienstag für befangen erklärt worden. Grund war, daß er in der Sitzung am 21. Dezember 1992 offenbar auf eine Frage des Nebenklägervertreters Plöger die Unwahrheit gesagt hatte. Bei der Frage ging es um die Übergabe eines Stadtführers durch Bräutigam an die Honecker-Anwälte, den der Ex-SED- Chef signieren sollte.
In Bonn forderte die Abgeordnete der Bundestagsgruppe von Bündnis 90/Grüne, Christa Schenck, den Honecker-Prozeß zu beenden. „Die allabendlichen TV- Vorführungen seines sichtlichen Verfalls, die Berichte über die Größe und das Wachstum seines Tumors seien widerlich“, hieß es in einer Presseerklärung. Der Prozeß sei kein Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte. „Die Hochstilisierung von Repräsentanten des DDR-Staats zu Sündenböcken“ führe „zur Verdrängung der Mitverantwortung anderer – zum Beispiel der westdeutschen Politik – für das Sterben an der deutsch- deutschen Grenze“.
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