: Sturm verhindert Rettungsarbeiten
■ Evakuierungspläne für die Shetlandinseln liegen vor/ Immer noch läuft Öl aus
Shetland/Berlin (taz) – Für gestern war auf den Shetlandinseln Orkan angesagt. Die Wettervorhersage bis Sonntag lautet: Sturm. Nach wie vor müssen die Hilfsmannschaften der Ölkatastrophe durch den havarierten Tanker „Braer“ tatenlos zusehen. Inzwischen hat sich das Öl bis 20 Kilometer nordwestlich der Unglücksstelle ausgebreitet, der Gestank liegt noch 40 Kilometer entfernt in der Luft. Die Menschen leiden unter Kopfschmerzen, Augenbrennen und Atemnot. Der Umweltsprecher der Shetland-Verwaltung, Martin Hall, hat gewarnt, daß die Dämpfe krebserregend seien. Felder und Weiden sind bereits mit einer Ölschicht bedeckt; viele Bauern haben ihre Schafe auf entferntere Weiden getrieben. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, die Häuser nicht zu verlassen. Evakuierungspläne liegen bereits in der Schublade; betroffen wäre die Mehrheit der 21.000 Menschen zählenden Bevölkerung der Inseln, die vor allem im Süden lebt.
Der Staatssekretär für Schifffahrt, Lord Caithness, versucht hingegen auf dummdreiste Weise, das Ausmaß der Katastrophe kleinzureden. „Die Natur reinigt sich selbst“, behauptet er und erklärt Schneesturm und Wellen als Verbündete.
Wie viele der 85.000 Tonnen- Ladung sich noch im Rumpf des Schiffs befinden, konnte gestern niemand sagen: Seit die Mannschaft evakuiert wurde, war niemand mehr an Bord. Die Gefahr ist groß, daß der Tanker auseinanderbricht. Eine Explosion wäre in diesem Fall nicht unwahrscheinlich, weil das Öl dann in einem großen Schub freiwürde.
Durch den Sturm mit einer Geschwindigkeit bis zu 130 Stundenkilometer konnten gestern keine Flugzeuge aufsteigen, um ölauflösende Chemikalien zu sprühen. Umweltschützer warnen aber sowieso vor dieser Techik. Außerdem gehen Experten davon aus, daß das Versprühen nur in den ersten 24 Stunden nach Auslaufen des Öls überhaupt wirksam ist. Mitarbeiter des Katastrophenschutzes schütteten unterdessen zwischen zwei kleine, nur 50 Meter voneinander entfernt liegende Inseln Felsbrocken. Auf diese Weise hoffen sie, einige Lachsfarmen vor der Verseuchung zu bewahren.
Schon zweitausend Vögel sind durch das Tankerunglück verendet, eine erste Lachsfarm ist zerstört. Umweltschützer fürchten, daß die Verseuchung von Plankton, Muscheln und Fischen für die Seevögel langfristig eine noch größere Bedrohung darstellen wird als der ölteppich.
Ein Lebensmittelhändler hat ein Schild vor seine Tür gehängt: „Wir bedienen keine Besatzung von liberianischen Tankern.“ Die Crew ist unterdessen, entgegen ersten Angaben der Polizei, nach wie vor auf der Insel. Das Hotel aber wird gegen Journalisten und die Bevölkerung abgeschirmt.
Die Umweltschutzorganisation BBU hat gestern einen Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl geschickt, in dem sie ihn auffordert, schnellstens eine Konferenz der Nord- und Ostseeanrainer einzuberufen. Dort sollten Schritte beschlossen werden, mit denen wirksam ähnliche Katastrophen wie in Schottland oder vor wenigen Wochen in La Coruña verhindert werden könnten. Die SPD forderte gestern eine Aktuelle Stunde im Bundestag zum Thema Tankerunglücke und Umweltkatastrophen. raso/aje
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