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"Hat emanzipatorische Erziehung versagt" ?

■ betr.: "Grüne GesinnungspolizistInnen im Einsatz", taz vom 6.1.93

betr.: „Grüne GesinnungspolizistInnen im Einsatz“,

taz vom 6.1.93

In dem Artikel werde ich als Mitglied der Linken in der NRW- Landtagsfraktion Die Grünen als Gesinnungspolizistin deklariert, die linken PädagogInnen Persilscheine ausstellen will.

Beides sind Unterstellungen, gegen die ich mich aufs schärfste verwahre. Richtig ist, daß ich allerdings ein persönliches und politisches Interesse daran habe, daß die Mitverantwortlichen für die Brandanschläge von Mölln, Hünxe und Hoyerswerda dort gesucht werden, wo sie sind, nämlich in der Mitte der Gesellschaft und in einer bislang mehrheitsfähigen Politik, die keine Alternativen zu menschen- und umweltfeindlichen Entwicklungstendenzen unserer modernen Industriegesellschaft herstellt.

Die politischen Fehler und Versäumnisse für rassistisch-rechtsextreme Gewalt von Jugendlichen auf die linken LehrerInnen abzuwälzen ist Teil eines ideologischen Gegenschlages, mit dem insbesondere die CDU/CSU ablenken will von dem gesellschaftlichen Desaster ihrer zehnjährigen Regierungszeit und der von ihr eingeschlagenen Tendenz zur Abschaffung des Rechts- und Sozialstaates.

Mit dem alten Feindbild, daß der Feind links steht, hat man in konservativ-reaktionären Kreisen in diesem Land schon immer von politisch-gesellschaftlich bedingten Katastrophen, an denen immer auch die gesellschaftliche Mitte beteiligt war, abzulenken versucht. Wir erinnern uns an den Historikerstreit und die damit verbundenen Bemühungen, Geschichtslosigkeit einziehen zu lassen und Auschwitz als schrecklichsten zivilisatorischen Störfall der deutschen Geschichte zu „titeln“.

Jetzt, wo zu klären ist, wer die Verantwortung für den rechtsextremen Terror in Deutschland zu übernehmen hat, wird das altbewährte Feindbild aktualisiert. Das Infame dabei ist, daß ausgerechnet ein Wertesystem angegriffen wird, das älter ist als die 68er Generation und das in den Mittelpunkt seiner Erziehung die Herausbildung des Gewissens stellt. Gemeint ist die schon in den zwanziger Jahren von Neill begründete Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung. Sie bekam in den sechziger Jahren durch Adorno und die demokratischen Linken in Deutschland neue Impulse.

Wenn auch bei der demokratisch-emanzipatorischen Erziehung der demokratischen Linken stärker als bei dem psychoanalytischen Ansatz von Neill die autoritären Gesellschaftsstrukturen in den Blick genommen wurden, so hat sich die demokratisch-emanzipatorische Pädagogik mit der antiautoritären Tradition in unterschiedlicher Weise gemischt. Als gemeinsame Grundüberzeugung gilt jedoch, daß die autoritäre Erziehung das Gewissen des/der einzelnen verdirbt und ein gewissenloses Über-Ich produziert.

Aus der Vermischung von Traditionen und Ansätzen ergibt sich auch, daß das Spektrum antiautoritärer, demokratisch-emanzipatorischer Erziehung keineswegs nur eine Domäne der Linken war und ist, auch wenn die Linken dieses pädagogische Feld stark mitgeprägt haben. Hildegard Hamm- Brücher und Dahrendorf als VertreterInnen eines demokratisch-liberalen Spektrums stehen dafür ebenso wie christliche PsychoanalytikerInnen.

Was von dieser Erziehung in der Institution Schule wiederum angekommen ist, was davon nie verwirklicht bzw. eher nicht verwirklicht werden konnte wegen der Verfaßtheit der Institution Schule, ist eine spannende Frage. Davon zu trennen ist eine falsche Selbstbezichtigung von LehrerInnen, die ihre Erziehungsziele angesichts rechtsextremer Orientierungen von Jugendlichen für gescheitert erklären.

Forderungen nach einer demokratischen und autonomen Schule werden nicht nur von BildungsexpertInnen wie Hans-Günter Rolff, Mitglied der Bildungskommission des Ministerpräsidenten in NRW, erhoben. Das sind mehr als deutliche Hinweise über den bisherigen Mangel dieser Elemente in der Schule trotz Schulreformen und LehrerInnenengagement. Schulen müssen endlich so verfaßt sein, daß sie SchülerInnen mehr Freiheitsräume geben und mehr eigenverantwortliches Handeln von ihnen abfordern können.

Es ist meine Überzeugung, daß die Rechte des/der Andersdenkenden geschützt werden müssen. Davon unberührt ist das Recht, Meinungen entschieden zu widersprechen, die der Verfälschung von Tatsachen dienen und den politischen Verantwortlichen für den Rechtsextremismus Absolution und Entlastung erteilen.

Ganz beeindruckend ist übrigens ein Ergebnis der empirischen Bildungsforschung. Danach ist belegt, daß autoritär erzogene Kinder in Abwesenheit der Autoritäten gegen Regeln und Verbote verstoßen, während dies bei antiautoritär erzogenen Kindern nicht feststellbar ist. Ich erwarte jetzt wissenschaftlich belegte Zahlen über die Gruppe von Jugendlichen, die tatsächlich antiautoritäre Erziehung in Elternhaus und Schule erfahren haben und sich in der rechtsextremen Szene bewegen. Und wenn man denn schon aufrechnet, wäre noch zu klären, auf wessen Konto die SchülerInnen gehen, die nicht nur bei Demonstrationen gegen den Golfkrieg, sondern auch gegen rechts ihre gewaltfreie Einstellung zum Ausdruck gebracht haben. Brigitte Schumann, Die Grünen

im Landtag NRW, Düsseldorf

Der taz „gelingt“ es immer wieder, inhaltliche Auseinandersetzungen bei den Grünen als prinzipielle Schlachten um Rechts-Links darzustellen. Klassischerweise wird das Drama entlang des innerparteilichen Lebens dann so wiedergegeben, daß die Realos und/oder „PragmatikerInnen“ die Opfer sind und die Linken die realtitätsfernen, machtbesessenen Idioten.

In dem konkreten Fall ist doch nicht das Problem, daß Beate Scheffler „Aufrichtigkeit und Nachdenklichkeit“ beweist, sondern daß sie zwar Fragen aufwirft, deren Beantwortung aber der CDU überläßt. Da erwarte ich von einer grünen, bezahlten Landespolitikerin mehr, zumal gerade die Diskussion um Rassismus und Rechtsradikalismus in und um die Grünen nicht am Landtag vorbei gelaufen ist.

Wer fragt, was an „unserer“ Erziehung schiefgelaufen ist, dann nur die „emanzipatorische Erziehung“, nicht aber die Grundwerte dieser Gesellschaft, angefangen von einer nicht aufgearbeiteten nationalsozialistischen Vergangenheit bis hin zur hemmungslosen, egoistisch organisierten Konsummaximierung hinterfragt, der wird mit Recht kritisiert. [...] Helmut Schaaf, Köln

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