: „Wir bauen keinen unabhängigen Staat auf“
Masud Barzani, Chef der Demokratischen Kurdischen Partei im Irak, hofft auf weiteren Schutz durch die Alliierten und bessere Beziehungen zur Türkei/ Ein türkisches Protektorat lehnt er allerdings ab ■ Das Gespräch führten Hans Engels und Sara Rash
Ende des Jahres hat das türkische Parlament einer weiteren Stationierung der US-Luftwaffe in der Türkei zugestimmt, damit diese von dort aus den Luftraum über dem kurdischen Teil des Irak überwachen kann. Damit scheint die Gefahr eines neuerlichen Einmarsches der Bagdad-Armee im Nordirak erst einmal gebannt, die autonome Region Kurdistan bleibt bestehn. Mit Einbruch des Winters hat sich die Versorgungslage im Nordirak allerdings wieder verschärft, es fehlen Nahrungsmittel und Brennstoff. Das Gespräch mit Masud Barzani wurde vor der neuerlichen Eskalation zwischen Saddam Hussein und den USA geführt.
taz: Herr Barzani, wann werden die irakischen Kurden zusammen mit der Türkei gen Mossul und Kirkuk marschieren, um die Kurden und kurdischen Ölgebiete von Saddam Hussein zu befreien? Es wird in Irakisch-Kurdistan über ein Wiederaufleben des alten „Wilajets Mossul“ diskutiert, das Teil des Osmanischen Reiches war und zu dem auch das kurdische Kirkuk und das nur zum Teil kurdische Mossul gehörten. Ist das Ihr Plan? Wie wird die Zukunft Kurdistans und der Türkei aussehen, was vermuten Sie, verfolgt die Türkei?
Masud Barzani: Es gibt keine Pläne zwischen uns und der türkischen Armee, zusammen gegen Kirkuk und Mossul zu marschieren, absolut keine Pläne. Es gibt keinerlei Vorbereitungen. Solche Vermutungen sind unbegründet. Über das Wilajat Mossul wird seit langem diskutiert. Aber kein Land ist mit einer offiziellen Stellungnahme in dieser Sache an uns herangetreten. Meiner Meinung nach ist das keine ernsthafte Angelegenheit. Es ist eher eine Spekulation, nichts Konkretes, nichts Offizielles. Was unsere Beziehungen zur Türkei betrifft, so möchten wir gut nachbarschaftliche Beziehungen. Ebenso wie mit Syrien und dem Iran. Wir haben unbedingtes Interesse an guten Beziehungen zur Türkei und den anderen Nachbarn. Unsere Situation verlangt das.
Die türkische Presse schrieb, de facto sei ein kurdischer Staat gegründet worden. Es seien Pässe ausgegeben worden, es gebe inzwischen eine kurdische Staatsbürgerschaft. Es heißt, die Dinge in Nordirak würden sich entwickeln, wie es umliegende Mächte nicht gewollt hätten. Es könnte größere Probleme geben. Der Irak habe das Recht, seine territoriale Integrität zu schützen. Wie interpretieren Sie das?
Was die türkische Presse berichtet, ist Sensationshascherei, ist das Verdrehen von Tatsachen. Es stimmt nicht, daß wir Pässe ausgeben. Wir haben nur einen Paß, und das ist der irakische. Wir haben nur eine Staatsbürgerschaft, und das ist die irakische. Auch die Beunruhigung, wir etablierten mit so etwas einen Staat: Auch das ist nicht wahr. Wir bauen keinen unabhängigen Staat auf. Wir haben kein Interesse an einer Teilung (des Irak, Red.). Wir haben unser Recht auf Selbstbestimmung wahrgenommen, was von der gesamten irakischen Opposition in Wien im vergangenen Juni gebilligt wurde und was Ende Oktober von der turnusmäßigen Sitzung der Opposition in Salahaddin (In Salahaddin, Irakisch-Kurdistan, befindet sich auch die Zentrale von Barzanis Partei KDP., Red.) bestätigt wurde. Wir haben nicht eine Aufteilung des Irak verlangt. Wir wollen eine Föderation in einem demokratischen Irak. Den gesamten feindlichen, vorübergehenden Einfall des türkischen Militärs haben wir mißbilligt. Wir haben die türkischen Truppen zum unverzüglichen Abzug aufgefordert. Denn das ist eine klare Einmischung in unsere Angelegenheiten. (Der Abzug ist inzwischen erfolgt., Red.).
Was sind die Pläne, die Interessen des Iran in der Region? Im Luftraum über Suleimania wurden bereits Kampfflugzeuge gesehen. Die Türkei und der Iran befinden sich in einer Art Wettbewerb um Einfluß und Kontrolle. Auch im Iran lebt eine große kurdische Minderheit, ein autonomes Kurdistan-Irak betrifft den Iran ebenso wie die Türkei. Droht womöglich eine militärische Intervention des Iran?
Es gibt diesen Wettbewerb unter unseren Nachbarn. Womöglich hat jedes Land Interventionsabsichten. Aber es ist auch keine einfache Sache für die Türkei oder Syrien oder den Iran, gerade dann, wann immer sie meinen, ihre Armee müsse einmarschieren, das auch zu tun. So, als gebe es hier keine Führung. Wir würden so etwas nicht akzeptieren. Es muß da eine Grenze geben. Wären wir tatsächlich gezwungen, können wir uns natürlich auch verteidigen. Wir glauben nicht, daß das, was mit der Türkei passierte, von anderen Ländern wiederholt wird.
Wir haben die PKK als Opposition gegen die Türkei. Und wir haben kurdische Oppositionsgruppen aus dem Iran. Ihr Verhalten ist völlig verschieden. Wir sind sehr froh, mit der KDP-Iran (Demokratische Partei Kurdistan-Iran, Red.) zusammenzuleben. Sie halten sich an alle Regeln, kooperieren mit uns. Wir haben keine Schwierigkeiten. Die PKK ist etwas anderes. Sie fordern uns heraus und tun so, als existierten wir nicht. Sie waren verantwortlich für die Verkomplizierung der Lage, dafür, daß die türkische Armee in unserer Land einmarschierte.
Der Kampf gegen die PKK wurde in europäischen Zeitungen als „Bruderkrieg“ bezeichnet. Das kurdische Parlament in Erbil erklärte im August, die PKK sei „der Feind des kurdischen Volkes“. Noch im April hatte Dschalal Talabani gesagt (Chef der Patriotischen Union Kurdistans (Irak), PUK, und Barzanis Erzrivale, aber derzeitiger Großer-Koalitions-Partner, Red.): „Wir haben Geduld mit ihnen, wir sprechen mit der PKK.“ (siehe taz vom 14.4.92) Im Oktober sprachen die Waffen...
Wir wollten diesen Krieg nicht. Wir mochten das nicht. Es war eine schmerzhafte Entscheidung. Wir hatten in den vergangenen sechs Jahren jede Art militärischer Konfrontation mit der PKK und jeder anderen kurdischen Gruppe vermieden. Wir haben mit allen politischen und diplomatischen Mitteln versucht, zu vermitteln, die PKK zu überzeugen, daß, was sie tat, falsch ist. Sie haben auf unseren Rat, unsere Appelle nicht gehört. Sie hielten an ihrer Arroganz fest. Natürlich zielte dieser Krieg nicht darauf, wie es beschrieben wurde, sie zu zerstören. Wir haben nichts damit zu tun, was die PKK in der Türkei macht. Das ist deren Form von Opposition. Wir verfolgen eine Politik der Nichteinmischung gegenüber unseren kurdischen Brüdern in deren Ländern. Sie sind verantwortlich für ihre Politik. Ebenso sollen sie sich in unsere Angelegenheiten nicht einmischen. So sehen wir das. Sie (die PKK, Red.) dagegen hat unsere Regierung und unser Parlament mißachtet, sie benahmen sich, als seien sie die Autorität. Sie haben unseren Aufbau durch ein Embargo für Waren aus der Türkei behindert. Sie haben in den Städten Untergrundnetze aufgebaut, die die Order hatten, Führungspersonen der Parteien, der Regierung, des Parlaments zu ermorden. Außerdem hatten sie entschieden, zu zerstören, was wir erreicht haben und was die Alternative zu dem ist, was sie denken und wollen: also zu versuchen, Wahlen zu organisieren, eine Verwaltung zu wählen, eine Regionalregierung. Was erreicht wurde, ist historisch einmalig. Dies ist eine realistische Lösung im Gegensatz zu ihrem Extremismus und ihrem autoritären Stil. Sie reagierten feindlich und versuchten alles, um diese Situation zu destabilisieren. Überall entlang der Grenze zur Türkei haben sie Basen und Trainingscamps aufgebaut, hielten die Bewohner von 300 Dörfern von der Rückkehr ab, versuchten, Autorität auszuüben und Steuern und Zölle bei irakischen Kurden zu erheben. Bis 1989 haben sie acht Führungspersonen von uns umgebracht und die Leichen den irakischen Autoritäten übergeben. In dieser Zeit, unmittelbar nach den Giftgasattacken gegen unsere Bevölkerung, blieben wir ruhig. Als wir nun in der letzten Minute eine Delegation schickten und versuchten, mit ihnen zu reden, war ihre Antwort sehr ablehnend und herausfordernd. „Ihr habt kein Recht, dies ist Kurdistan, dies ist befreites Gebiet, in dem wir arbeiten. Ihr habt hier nichts zu tun. Ihr werdet uns nicht rauswerfen. Vielmehr werden wir euch aus Erbil (Sitz des Regionalparlaments Irakisch-Kurdistans, Red.) hinauswerfen.“
In Wahrheit starteten sie dann die auslösende Attacke, bevor die Peschmerga gegen sie vorgingen. Die PKK begann am 4.Oktober (einen Tag bevor das Parlament Irakisch-Kurdistans beschloß, gegen die PKK vorzugehen, Red.) Sie nahmen einige Peschmerga- Stellungen, unterbrachen die Straßenverbindung zwischen Zakho, Batufa, Kani Masi.
Wie sieht die Situation jetzt nach den bewaffneten Auseinandersetzungen aus? Zu den Waffenstillstandsverhandlungen hieß es, sie hätten der PKK einen Status als „politische Flüchtlinge“ zugestanden. Was heißt das?
In den Auseinandersetzungen wurde die PKK überall entlang der Grenze geschlagen und ihre Basen eingenommen. Ihre gesamte Struktur wurde gebrochen. Sie haben keine Chance, das wieder aufzubauen. Sie lagen unter direktem Feuer, auch Osman Öcalan (der Bruder des PKK-Chefs Abdullah Öcalan, Red.) selbst. Dann ergaben sie sich, das war am 27.Oktober. Sie sagten, sie würden unsere Bedingungen akzeptieren: keine militärische Präsenz entlang der Grenze, Evakuierung dieses Gebietes durch uns, keine Attakken von unserem Gebiet aus (auf die Türkei, Red.), Anerkennen aller Auflagen unserer Regionalregierung, keinerlei militärische Präsenz in unserer Region.
Sie mußten ihre Waffen abgeben?
Die Regelung sagt: keine militärische Präsenz. Das heißt, wir werden ihnen nicht erlauben, Waffen zu tragen.
Die PKK ist also als militärische Kraft zerstört?
Ihre Struktur hier in Nordirak, ja. Es gab alles andere als Begeisterung auf unserer Seite. Sehen Sie, wir hätten sie vernichten können, aber das passierte nicht. Die Befehle der Peschmerga waren, sie in die Enge zu treiben, wenn sie Widerstand leisten, sie rauszudrängen. Obwohl wir sie in die Enge trieben, war unsere Politik wirklich nicht, sie zu massakrieren. Wir sagten ihnen, wenn ihr als eine Art politische Flüchtlinge bleiben wollt, okay, ihr seid willkommen, aber ihr werdet unter Aufsicht des Innenministeriums stehen, eure Bewegungsfreiheit wird beschränkt werden. Wir würden lieber sehen, daß ihr alle zusammen geht. Aber wenn ihr bleiben wollt, bieten wir euch dies an. Die Verwundeten werden wir versorgen. Die Zuständigen unserer Regionalregierung diktierten ihnen das, und sie unterzeichneten. Für uns heißt das, sie haben aufgegeben, unabhängig davon, was ihre Propaganda sagt. Unsere zukünftige Beziehung wird davon abhängen, ob sie sich an dieses Arrangement halten.
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