Rollentausch in Nicaragua

■ Die Parlamentsfraktion der regierenden UNO erklärt sich zur Opposition/ Die Präsidentin ist nun auf die Stimmen der sandinistischen Opposition angewiesen

Managua (taz) – In Nicaraguas Parlament ging es am Wochenende drunter und drüber. Die Abgeordneten der „Nationalen Oppositionsunion“ (UNO), die mit dem Wahlsieg von Präsidentin Violeta Chamorro 1990 zur Regierungskoalition geworden war, erklärten sich am Samstag in ihrer übergroßen Mehrheit zur Opposition und drohten die Sabotage der legislativen Aktivitäten an. Die Regierung, die sich nun nur noch mit den Stimmen der sandinistischen Opposition regieren kann, hatte massiven Polizeischutz angeordnet, nachdem Alfredo César, der bisherige Parlamentspräsident, seine Anhänger aufgefordert hatte, alle Abgeordneten am Betreten des Parlaments zu hindern. Mit dem Ende der Amtsperiode Césars hat der rechte Flügel der UNO den Kampf um die Kontrolle der legislativen Gewalt verloren.

Während im Plenarsaal 48 der 92 Abgeordneten die neue Junta des Parlaments – dessen Präsidenten, drei Vizepräsidenten und drei Sekretäre – für ihre zweijährige Amtsperiode wählten, schrieen sich die restlichen 44 Volksvertreter kaum zweihundert Meter entfernt in Sprechchören die Kehlen heiser. „Nieder mit den Verrätern“, skandierten rund zweitausend Demonstranten, mehrheitlich ehemalige Contras, die den boykottierenden Abgeordneten zujubelten. Mit den Verrätern sind die neun UNO-Abgeordneten gemeint, die sich als sogenannte Zentrumsgruppe konstituiert haben, de facto eine dritte Parlamentsfraktion bilden und mit den 39 Sandinisten eine hauchdünne Mehrheit herstellen können. In der neuen Junta stellen sie den Präsidenten, zwei Vizepräsidenten und den Ersten Sekretär. „Niemals werden wir diese illegale Junta anerkennen“, verkündete Alfredo César. Und der politisch kaltgestellte Vizepräsident der Republik, Virgilio Godoy, kündigte eine Eskalation des Konflikts um die Macht an: „Wer glaubt, daß wir nur friedliche Demonstrationen organisieren können, der täuscht sich.“

Seit Monaten agitieren Godoy, César und Managuas Bürgermeister Arnoldo Alemán für ein Referendum gegen Violeta Chamorro. Sie werfen der Präsidentin und deren Schwiegersohn Antonio Lacayo, dem eigentlichen Strategen der Regierung, vor, sich „an die Sandinisten verkauft zu haben“.

Die Parlamentsarbeit war seit vier Monaten blockiert, weil die UNO-Fraktion die Abspaltung der Zentrumsgruppe nicht hinnehmen wollte, worauf Sandinisten und Zentrumsgruppe die Nationalversammlung bestreikten. Nach einem Spruch des Obersten Gerichtshofes, der alle Aktionen des Rumpfparlamentes annullierte, und dem Ende der Amtszeit Césars mußten am Samstag die Karten neu verteilt werden. Bis in die Nacht feilschten die Streitparteien noch um eine Konsenslösung. FSLN-Fraktionschef Sergio Ramirez hatte sich am Freitag noch zuversichtlich geäußert, daß zumindest drei bis sieben Abgeordnete gegen einen Platz im Vorsitz aus der César-Gruppe ausscheren würden. Doch schließlich zogen sich beide Gruppen auf kompromißlose Positionen zurück. Die César-Fraktion hatte zuletzt angeboten, die während der vergangenen vier Monate beschlossenen Gesetze neu zu diskutieren, reklamierte aber alle der UNO zustehenden Sitze in der Junta für sich. Ja, sie verlangte sogar, daß für diese Sitzung drei Abgeordnete der Zentrumsgruppe durch ihre César-freundlichen Stellvertreter ersetzt würden.

Mit seiner prekären Mehrheit von 48 Stimmen kann das Mitte- Links-Bündnis zwar arbeiten, doch die UNO-Fraktion wird alles unternehmen, um ihr und der Regierung das Leben schwer zu machen. Außerdem ist damit zu rechnen, daß César wie schon im Vorjahr seine Kontakte in Washington nutzen wird, um die Wirtschaftshilfe zu blockieren. Gustavo Tablada, Sprecher der Zentrumsgruppe und neuer Parlamentspräsident, verkündete in seiner Antrittsrede, er wolle sich um die Entpolarisierung der Gesetzgebung bemühen. Doch wer die unversöhnlichen Reden der neuen Opposition gehört hat, dem ist klar, daß der Krieg erst begonnen hat. Ralf Leonhard