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Es geht abwärts mit dem "Bonzenheber"

■ EG-Bürokraten wollen den Paternoster abschaffen / Behörden wollen aber auf den Vorläufer des Aufzugs nicht verzichten

abschaffen / Behörden

wollen aber auf den Vorläufer des Aufzugs nicht verzichten

In Hamburgs Behörden brodelt es. „Zivilen Ungehorsam“ forderte gestern Stadtentwicklungssenatorin Traute Müller, und Almut Blume- Gleim, Architektin im Landesplanungsamt, kündigte an, man werde „nicht kampflos aufgeben“. Das Ziel ihres Kampfes: Die „Rettung der Paternoster“. Dieses selten gewordene Exemplar der Gattung „Personenbeförderungsmittel“ ist nämlich akut vom Aussterben bedroht.

Spätestens Ende 1994, so will es eine EG-Richtlinie, soll der kuriose Vorläufer des Aufzugs von der Bildfläche verschwunden sein. Ganz Europa wäre dann mit Aufzügen besetzt. Ganz Europa? Nein, eine kleine Gruppe von Aufständischen um besagte Architektin widersetzt sich den Eroberern.

Seit Mitte September schon sammelt Almut Blume-Gleim in Hamburgs Behörden Unterschriften für den Erhalt der „Personenumlaufaufzüge“. Die Unterstützung geht quer durch alle Ämter und Stockwerke. 425 Kollegen setzten ihren Namenszug auf die Liste, die gestern der Stadtentwicklungssenatorin Müller übergeben wurde — verbunden mit der Aufforderung, sich für den Erhalt der Paternoster einzusetzen. Als Argument für die Abschaffung der Paternoster — von Berliner Arbeitern im vorigen Jahrhundert auch „Bonzenheber“ getauft — werden übrigens Sicherheitsmängel angeführt.

Eine Behauptung, die bisher statistisch nicht bewiesen wurde, meint Almut Blume-Gleim. Der Paternoster sei vielmehr eine „angenehme architektonische Lösung“ — leise, offen und schneller als man glaubt. „Er hat natürliche Belichtung, ist großzügig dimensioniert für jeweils zwei Personen und mit seiner fast anachronistisch anmutenden gleichmäßigen Geschwindigkeit ein wohltuendes Element“, heißt es in einem Behördenrundschreiben.

Der herkömmliche Aufzug hingegen mit seinem lästigen Abbremsen und Anfahren verschwendet Energie, tötet Kommunikation und produziert Platzangst.

Anfang des Jahrhunderts galt der Paternoster noch als Sinnbild bürgerlicher Emanzipation von staatlicher Bevormundung. 90 Jahre später ist solcherlei Symbolik nicht mehr gefragt: Schon seit geraumer Zeit geht es abwärts mit dem guten Stück. Mehrere hundert Paternoster gab es vor dem Krieg in Hamburg, heute sind es nur noch 77, davon 15 in Behörden. Seit 1974 bereits dürfen keine neuen Anlagen mehr in Betrieb genommen werden.

Die Aufzug-Lobby reibt sich schon die Hände, befürchten die Paternosterfans. Der Umbau eines einzigen ihrer Lieblinge zum stinknormalen Aufzug würde mindestens eine Million Mark kosten. Und im Gebäude der Hamburger Wirtschaftsbehörde müßten für den Umbau des Paternosters sogar Sozial- und Aufenthaltsräume der Belegschaft fallen.

Doch der Widerstand einer entschiedenen Fan-Gemeinde formiert sich. Um die verbleibenden Paternoster (Plural: Patres Nostri?) zu retten, müsse man sich notfalls über die EG-Bestimmung hinwegsetzen, erklärte Senatorin Müller. Einen Ausweg bietet möglicherweise Paragraph 26 der deutschen

1Aufzugsverordnung, der Ausnahmegenehmigungen für solche Paternoster in Aussicht stellt, die nur von Betriebsangehörigen benutzt

1werden. Dann allerdings müßte ein Aufzugswächter am Eingang die Zugangsberechtigung prüfen. Na dann Glück auf! Uli Mendgen

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