Weg von der Tristesse

■ Städtebaulicher Ideenwettbewerb zum Alexanderplatz eröffnet / Ungewöhnliches Verfahren: Investoren in der Jury

Berlin. Nach dem Spreebogen und dem Potsdamer Platz wird mit dem Alexanderplatz das dritte wichtige städtebauliche Verfahren im vereinten Berlin eingeleitet: Nach Staat und Kapital soll nun die Stadt ihr Forum erhalten. Es soll, nach dem Willen von Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer, „ein Platz der Bürger werden, der Berliner und ihrer Besucher. Ein Platz, auf den man im Sommer von den anliegenden Cafés her weithinein Tische und Stühle stellt, der anknüpft an die große Tradition europäischer Städteplätze.“

Diese Vorgabe ist ein Wagnis, denn für sie existiert kein historisches Vorbild. Die berühmten Stadtplätze Europas ziehen ihre Vitalität aus gewachsenen Strukturen, keiner wurde am Reißbrett entworfen. Gerade der Alexanderplatz in seiner augenblicklichen Form ist totes Beispiel dafür, wie sehr ein solches Vorgehen scheitern kann.

16 Architekten und Stadtplaner wurden zu dem beschränkten städtebaulichen Wettbewerb zugelassen, unter ihnen Edvard Jahn (Berlin) und Helmut Jahn (Chicago), Hans Kollhoff (Berlin) und Rem Koolhaas (Rotterdam) sowie Daniel Libeskind (Berlin) und David Mackay (Barcelona).

Sie werden bis zum 24. März ihre Vorstellungen der zukünftigen Gestalt eines Areals vorlegen, das von der Mollstraße und Weidinger Straße im Norden bis zur S- Bahn-Trasse und dem Holzmarkt im Westen und Süden reicht und im Osten die Neubauten an der Alexanderstraße, der Hans-Beimler-Straße und des vorderen Abschnittes der Karl-Marx-Allee umfaßt. Die endgültige Entscheidung fällt am 15. Juli.

Die Wettbewerbsteilnehmer müssen sich nur an ein Minimum von Rahmendaten halten. Das Nutzungsverhältnis, das die angestrebte Urbanität garantieren soll, wurde von Hassemer auf 25 Prozent Einzelhandel und Gastronomie, 15 Prozent Hotels, 30 Prozent Bürodienstleistung und zehn Prozent Kultur- und Vergnügungseinrichtungen festgelegt. Verbindlich ist zudem der Erhalt des Berolina- und des Alexanderhauses. Die beiden achtgeschossigen Stahlbetonskelettbauten von Behrens stehen unter Denkmalschutz. An ihnen orientiert sich die zukünftige Einfassung des Platzes. Die überdimensionierte Verkehrsfläche rund um den Platz soll, ausgenommen die Grunerstraße mit dem Tunnel, auf zwei- bis dreispurige Straßen reduziert werden.

Mehr Eckwerte wurden den Stadtplanern nicht an die Hand gegeben. Doch was ihnen scheinbar einen weiten Gestaltungsspielraum eröffnet, wird sich im Laufe des Wettbewerbs als dessen größte Schwierigkeit erweisen.

Zwar ist der Alexanderplatz in der bestehenden Form kein erhaltenswertes städtebauliches Ensemble, doch in die ihn umgebenden Gebäude wurden bereits Millionensummen gesteckt, und die Investoren wollen ihre wirtschaftlichen Interessen gewahrt wissen.

Zwar verkündete Hassemer gestern vollmundig, die Wettbewerbsteilnehmer „können außer den Denkmalschutz alles zur Disposition stellen“, doch kann er dieser Ankündigung im Zweifelsfall nur wenig Taten folgen lassen. Abrisse, auch städtebaulich sinnvolle, lassen sich nicht verfügen. Über wesentliche Eckwerte deuten sich bereits handfeste Konflikte zwischen Stadt und Investoren an. Hassemers Ziel ist ein Anteil von 20 Prozent Wohnbebauung, die Investoren jedoch, so weiß er, „sehen ein solches Maß nicht vor“. Die Wettbewerbsvorgabe läßt folgerichtig lediglich „prüfen“, ob der 20-Prozent-Anteil „möglich ist“. Ähnlich konfliktträchtig wird die Gebäudehöhe sein, deren Bestimmung, so Hassemer gestern, Aufgabe des Wettbewerbs sei. Doch geht er bereits jetzt davon aus, daß „nicht die Traufhöhe die Vorgabe ist“. Immerhin gibt es Investoren, die bis auf 63 Stockwerke gehen wollen. [Ist doch nur wenig mehr als die Häfte des Empire State Building, säzzer.]

Um öffentliche und Privatinteressen ansatzweise in Einklang zu bringen, setzt Hassemer auf Einsicht. Die Investoren können sich überlegen, „ob es ökonomisch sinnvoll ist, Gebäude in bestehender Form zu erhalten“. Zudem will er sie eng in das Wettbewerbsverfahren einbinden, indem er sie zu Juroren ernennt. Er geht damit weit über das hinaus, was den Investoren am Postdamer Platz beim dortigen Wettbewerb zugestanden wurde. Diese traten seinerzeit noch mit einem eigenen Entwurf an, um ihren Vorstellungen Nachdruck zu verleihen. Das werden die Investoren am Alexanderplatz nicht mehr nötig haben. Dieter Rulff