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Aufgeschlüsselte Schlager

■ Lexikalisches zu einem klandestinen Phänomen

Die wichtigste Frage zuerst: Wer braucht sowas? Ein „Lexikon des deutschen Schlagers“? Mit Kurzbiografien von Adamo bis hin zu den Zillertaler Schürzenjägern, mit Geburtstagskalender, Gedenktagen und historischem Abriß? Ganz sicher die Hartgesottenen, für die Roy Black eine Offenbarung war und „Winter in Kanada“ ein Meisterwerk, die Nicole als Künstlerin verehren und Fini Busch als große Lyrikerin.

Für diese klandestine Minderheit liegt jetzt sowas vor, ganz dick und bunt und mit dem Versprechen, „die zur Zeit schlüssigste, umfassendste und objektivste Darstellung zum deutschen Schlager gegeben zu haben“. Dabei wird die Kategorie „Schlager“ ganz groß gefaßt – „als Kunstprodukt, als Massenmedium, als Ware“ – und generös der Bogen gespannt von Johann Strauß und Robert Stolz über das „Wunschkonzert“ der Nazis und den Südsee-Schlager bis hin zur Neuen Deutschen Welle und dem volkstümelnden Mist der Mölln-Zeit. Bei soviel Offenheit kommt dann im alphabetischen Personenteil zusammen, was so gar nicht zusammengehört: Freddy Breck folgt da auf Bertolt Brecht und Mike Krüger auf Manfred Krug, Franz Lehar kommt nach Brenda Lee und Gottlieb Wendehals nach Kurt Weill. Alles, was sich je auf rundem Vinyl verewigte, wird jetzt zu einer Großfamilie: ein bedauerliches, wenn auch unvermeidliches Opfer ans Alphabet.

Zwar rühmen sich die drei Herausgeber – zwei vom Funk und der Verleger himself – ihrer „jahrelangen Vorarbeit und Nachforschung“, doch so mancher Fehler steckt im Detail: Gerd Böttcher wird zum Pseudonym von Detlev Engel, obwohl der eine noch singt und der andere schon tot ist. Gigliola Cinquetti bekommt für 1956 einen deutschen Hit verpaßt, auch wenn sie da gerade erst in Verona das Laufen lernte. Und Michael Holm wird als Duettpartner von Bert Berger verbucht, der es doch nur mit seiner Frau Cindy machte.

Weist der Personenteil für das originäre Schlagerleben der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre erhebliche Lücken auf, ist man um so redseliger in der Neuzeit. Da tauchen Namen auf wie Karina Kim, Andre Parker und Petra Laser, Namen, die keiner kennt und den Zeitungsnachweis für einen Platz im Nachschlagewerk noch schuldig sind.

Aber zuviel kleinkrämerische Mäkelei wird schon mit dem Vorwort von Freddy Breck abgewehrt: „Die Vielseitigkeit unserer klingenden Musikwelt mahnt uns zur Toleranz; jeder soll in Achtung seinen gewählten Musikstil ungetrübt genießen und vertreten dürfen.“ Solch tönende Sonntagsrede baut die Vorurteile gegenüber dem deutschen Schlagerwesen nicht ab. Und das gesamte Lexikon hilft auch nicht gerade weiter. Elmar Kraushaar

Bardong/Demmler/Pfarr (Hrsg.): „Lexikon des deutschen Schlagers“. Edition Louis, 39,80DM.

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