: Samenerguß nach Pillengenuß Von Herrn Thömmes
Ist Ihnen kotzübel? Kommen Sie morgens vor lauter Schmerzen nicht aus dem Bett? Wachsen Ihnen faustgroße Eiterbeulen aus den Achselhöhlen? Ah, nichts von alledem, Sie haben nur blutunterlaufene Augen wie ein angeschossener Werwolf? Wirklich, Sie sollten sich keine Sorgen machen: Werfen Sie einfach die vom Arzt verordneten Tabletten in den Müll, dann wird's schon wieder. Sehen Sie, ich bin ja an und für sich ein gutgläubiger Mensch. Vertraue deshalb unseren Medizinern, warum auch nicht, schließlich lassen wir sie mit Steuermitteln studieren, damit sie etwas Anständiges lernen. Wenn der Arzt sagt, ich hätte Husten, dann habe ich Husten — wer soll's denn wissen, wenn nicht er? Irgend was hat mich vom rechten Weg abgebracht. Möglicherweise der ziemlich schnell gesprochene Satz in der Fernsehwerbung „Wegen Risikenund Nebenwirkungenfragen Sie Ihren Arztoder Apotheker“. Klingt das nicht, als hätte da wer was zu verbergen? Also warf ich einen Blick auf das, was sie immer „Waschzettel“ nennen und in der Medikamentenschachtel steckt (heißt der so, weil sich die Pharmaindustrie damit prophylaktisch vor Prozessen reinwäscht?). Ei, gute Nachrichten, las ich, denn Nebenwirkungen sind... selten oder geringfügiger Natur. Uff! Erst in den folgenden Zeilen offenbarte sich die Wahrheit. Na gut, mit Hautjucken, evtl. verbunden mit Knötchenbildung der Haut, Hautabschuppung ließe sich ja leben, aber pünktchenhafte bis flächenhafte Blutungen in der Haut klingt nicht gut, oder? Dachte ich, nur während des Weiterlesens gab es Momente, wo ich mir Hautblutungen geradezu gewünscht habe, ja man lernt sie als nachgerade Wohltat zu schätzen. Was hätten Sie denn gern? Fieber, Erkrankungen der Lymphknoten, Gelenkschmerzen, das Lyell-Syndrom, Leberschädigungen, Krampfanfälle? Es könnten auch Übelkeit, Brechreiz, Durchfall sein. Ist ja immer noch besser als granulomatöse Hepatitis, die mich jederzeit durch die Einnahme dieser Pillen bespringen kann wie auch schwere Knochenmarkschädigung. Ach, wenn's das nur wäre! Bildung von Xanthinsteinen, allgemeine Kraftlosigkeit (Asthenie), Schwindel, Schläfrigkeit, Bewußtlosigkeit, grundlose traurige Verstimmtheit (Depression), Lähmungserscheinungen, Empfindungsstörungen (Parastesie), Nervenleiden, Trübung der Augenlinse, Makula-Entartung, ja, das alles droht, so steht es auf dem Beipackzettel, und noch viel mehr, wie Impotenz, blutiges Erbrechen, Geschmacksabweichung, so daß womöglich ein Chianti schmeckt wie Bockbier, aber auch Verlangsamung des Herzschlages, Ödeme, Urämie, Blut im Urin, ein- oder zweiseitige Vergrößerung der männlichen Brustdrüse, verfärbtes Haar oder gleich Haarausfall, Samenerguß im Schlaf, wobei über die damit verbundenen Traumsequenzen nichts gesagt werden kann, Zuckerkrankheit, Bluthochdruck – ha!!, reicht das endlich (es stünden noch mehr Gebrechen zur Auswahl)? Meine erste Reaktion: Der will mich umbringen! Erst später wurde mir klar, was für eine Botschaft hinter der Verschreibung dieses Mittels steckte: Junge, wollte der Doktor sagen, wenn du diese Tabletten überstehst, bist du gesund. Bist du ein Bär, ein Bulle, kräftig wie ein Panzernashorn. Das fand ich dann doch hippokratisch- logisch, irgendwie.
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