Chinas neue Supersaat

■ Genmanipulierte Tabak-, Reis- und andere Nutzpflanzen in der Volksrepublik China auf riesigen Flächen angepflanzt / Die EG ist an der Forschung beteiligt

Zang-Liang Chen meint es gut mit Rauchern. Pekings führender Gentechnologe würde gerne den Nikotingehalt von Tabak erhöhen. Dann nämlich, meint Professor Chen, müßten „Raucher weniger Zigaretten rauchen und damit weniger Teer inhalieren“ – das käme ihrer Lunge zugute.

Bevor es aber soweit ist, wurden jetzt schon einmal die ersten Zigaretten aus anderer Ernte geschmaucht. Sie stammen aus Tabakpflanzen, die gegen einen Virus resistent gemacht wurden. Die GenTech-Marke „China“ schmeckte den Testrauchern „genauso wie nichttransgene Zigaretten“, wird versichert. Nun plant die Nationale Tabak Company die Vermarktung für das kommende Jahr.

Rudolf Casper, Gentechnik-Befürworter und Mitarbeiter an der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Braunschweig, eine jener Behörden, die bei Entscheidungen über bundesdeutsche Freilandversuche angehört werden muß, ist mit seinen chinesischen Kollegen nicht einverstanden. In der Volksrepublik China werden seit etwa drei Jahren ohne nennenswerte Sicherheitsvorkehrungen die weltweit größten Freilandexperimente durchgeführt. „Bei uns in Europa und besonders in Deutschland widerspricht das den gesetzlichen Regelungen. Dies ist genau die Form der Gentechnik, die wir nicht wollen“, distanziert sich Casper.

Das hält ihn und auch die EG- Mitgliedsstaaten jedoch keineswegs davon ab, die Kooperation mit chinesischen WissenschaftlerInnen zu suchen. „Natürlich können wir hier keine Pflanzen herstellen und dann in China freisetzen, das ist nach dem Gentechnikgesetz verboten. Aber wir können zeigen, was wir unter Sicherheit verstehen“, erläutert Casper sein Engagement.

In den vergangenen zehn Jahren wurde der modernen Biotechnologie in der VR China höchste Priorität im High-Tech-Sektor eingeräumt. In den Bereichen Medizin, Landwirtschaft und Energie sollen mit massiver staatlicher Unterstützung neue Produkte und Verfahren entwickelt werden. Wie in vielen Ländern des Südens gibt es dabei auch in China weder genkritische Stimmen noch Regelungen über den Umgang mit genveränderten Organismen. Allerdings wurden, um ausländische Investoren heranzuziehen, schon ab Ende der siebziger Jahre vier Wirtschaftszonen eingerichtet, die einen besonderen politischen und wirtschaftlichen Status haben. Die Mehrzahl der Universitäten, Institute und Industrien, die sich in den modernen Biotechnologien engagieren, sind in der Wirtschaftsregion Yangtze angesiedelt. Die nötigen Devisen stammen weniger aus Joint-ventures als aus Forschungsabkommen mit Unternehmen und Instituten aus den USA, Westeuropa und Japan.

Seit etwa acht Jahren existiert zudem ein Patentschutz, der auch für Mikroorganismen, Zellinien und GenTech-Verfahren gilt. Ein undenkbarer Vorgang noch bis zum Tode Maos. Private Profite über Patente verstießen gegen die Prinzipien des Sozialismus. Für Erfinder gab es eine Anerkennung. Ihre Erfindung ging in den Besitz des Staates über.

Seit der Öffnung Chinas zum Westen ist es damit vorbei. So hatte der rührige Professor Zang- Liang Chen keine Probleme zu befürchten, als er seinem Land zu einer neuen Superlative verhalf: Freilandexperimente mit gentechnisch veränderten Nutzpflanzen und anderen Organismen auf Flächen von riesigem Ausmaß. Da wachsen virusresistente Tomaten (80 Hektar), Kartoffeln (50 Hektar) und Tabak (200 Hektar), und genveränderte Bakterien, die die Düngung mit Stickstoff ersetzen sollen, werden auf Reis- und Soyabohnenfeldern versprüht. Rund eine Million Hektar (zehntausend Quadratkilometer) umfassen die Testgelände seit 1990 insgesamt. „Das sind keine Experimente mehr, das ist bereits die Anwendung“, kritisert Casper.

Die Zurückhaltung, die in vielen westlichen Industrieländern auf offizieller Seite bei derartigen Versuchen gezeigt wird, kann Chen nicht ganz nachvollziehen. Schließlich, so glaubt er, würden seine Pflanzen zur Ernährungssicherung beitragen. „Wenn ich arm bin, wie die meisten unserer 1,2 Milliarden Menschen, denke ich daran, was ich morgen essen soll.“

Daß es bei der Gentechnologie mehr Fragen als Antworten gibt, daß zum Beispiel ungeklärt ist, ob sich mit virusresistenten Pflanzen nicht neu rekombinierte Viren entwickeln können, sozusagen ein „Supervirus“ entsteht, der sich verbreiten und auf andere verwandte Pflanzen übertragen werden kann, ficht Chen nicht an. Außerdem ist er mächtig stolz auf seine Kartoffeln, die, nur ein ganz klein wenig gentechnisch verändert, „wunderbar“ wuchsen. Und er amüsiert sich über die BäuerInnen, die nachts auf das Feld schlichen, um die transgenen Tomaten auszugraben, die Chen zuvor unterpflügen ließ, damit sich der mutierte Samen nicht weiterverbreite. „Die dachten, ich sei verrückt geworden, nahmen die Tomaten nach Hause, um sie zu essen oder auszusäen.“ Anzuzweifeln ist, ob die BäuerInnen über die Gen-Experimente informiert waren.

Beeindruckt von Chinas Durchsetzungskraft in den modernen Biotechnologien zeigten sich die Mitglieder einer EG-Delegation 1991 beim Besuch von Forschungszentren in Peking und Shanghai. Besonders erfreut waren die europäischen WissenschaftlerInnen über Entwicklungen in der Medizin und auf dem Agrarsektor. Im November 1991, zweieinhalb Jahre nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“, verstärkte die EG ihre Zusammenarbeit mit der VR China in den Bereichen Forschung und Technologie. In Peking wurde ein chinesisch-europäisches Biotechnologie-Zentrum, CEBC, eingeweiht, Das CEBC koordiniert mit EG-Geldern gemeinsame Forschungsaktivitäten und organisiert Seminare und Workshops. Besonderes Augenmerk liegt beim Patentschutz, der Bio-Ethik und Fragen der Sicherheit.

Mit von der Partie ist auch Rudolf Casper, der, selber Nichtraucher, die transgenen chinesischen Zigaretten für „unbedenklich“ hält. Professor Chen hat ihn gebeten, in diesem Jahr einen Workshop über Biologische Sicherheit zu leiten. Schließlich ist Caspers „So nicht!“ keineswegs prinzipieller Natur. Seine Vorbehalte erinnern eher an die Atom-Debatte: Die lasche Handhabung einer Technik wird abgelehnt, um in der Öffentlichkeit glauben zu machen, daß bundesdeutsche Standards die Gefahren weitgehend ausschließen. Ute Sprenger