: Der Ghali-Effekt und die Koalitionsräson
Koalitionsräson mobilisiert, Opposition in Verlegenheit gebracht/ Union setzt ihre Position weitgehend durch/ SPD beschuldigt Freidemokraten des Umfallens ■ Aus Bonn Tissy Bruns
Höchst gelassen, fast heiter ließ Kanzleramtsminister Friedrich Bohl Fragen der SPD an sich abtropfen, die am Vortag noch hochnotpeinlich gewesen wären. Denn die ärgerlichen Personalaffären und die bevorstehenden Wechsel im Kabinett, die die Opposition zum Thema einer aktuellen Stunde gemacht hatte, verblaßten nun vor dem Coup, den die Koalition gestern vormittag zustandegebracht hatte. Der Kanzler, der Außenminister, der Verteidigungsminister hatten den beschleunigenden Effekt des Ghali-Besuchs in der Bundesrepublik ausgenutzt, und nach drei Koalitionsrunden binnen einer Woche stand die gemeinsame Position zu den Bundeswehreinsätzen fest.
Wieder einmal hat Helmut Kohl sich erfolgreich die Koalitionsräson mobilisiert und die Opposition in Verlegenheit gebracht. Die „Handlungsfähigkeit der Koalition“ habe sich wieder erwiesen, wie FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms feststellte. Die Erleichterung darüber wog manchem Liberalen mehr als der Inhalt des Beschlusses, bei dem die FDP wieder einmal sehr viel mehr nachgab als die Union. Kampfeinsätze ohne Sicherheitsratsbeschlüsse werden nun doch möglich sein und nach gleichlautender Interpretation von Solms und Unionsfraktionschef Schäuble auch dann, wenn der UN-Sicherheitsrat durch das Veto eines Mitglieds „nicht handlungsfähig“ (Solms) ist. Immerhin hat die FDP durchgesetzt: Darüber muß der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit beschließen, also mit den Stimmen der SPD.
Sehr selbstsicher, fast triumphal verkündeten die Spitzen der Koalition, daß die SPD „sich dem nicht verschließen“ könne, wie CSU- Landesgruppenchef Wolfgang Bötsch prophezeite. Die SPD, so Schäuble, habe die für gestern ausgesprochene Einladung zum Gespräch ausgeschlagen und die Regierungsparteien aufgefordert, eine gemeinsame Initiative in den Bundestag einzubringen. Bereits am Freitag wollen Union und FDP mit ihrem Vorschlag in die erste Lesung gehen – das weitere Gespräch mit der SPD, deren Stimmen für diese Verfassungsänderung gebraucht werden, fände „dann dort“ statt. „Ich glaube, daß es der SPD schwer fallen sollte, unsere Vorschläge abzulehnen“, meinte Solms.
Die SPD, die sich erst auf ihrem Sonderparteitag im November auf erweiterte Blauhelmeinsätze festgelegt hatte, warf der FDP vor, sie sei umgefallen. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Karsten Voigt kritisierte vor allem, daß auch ohne Bindung an UNO- Beschlüsse Kampfeinsätze ermöglicht werden sollen. Damit leiste die Koalition der „Tendenz zur Schwächung der UNO“ Vorschub.
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