: Der italienische Faktor
■ La Boheme: Asbeststaub legt sich über einen feinen Clinch zwischen Schwelger Viotti und Analytiker Heyme - schade!
Budget-Probleme der mittelprächtigen Art hätten sie fast umgebracht, die traurig gefühlige Geschichte von Rudolfo und Mimi, die vor rund 100 Jahren Puccini ebenso neuartig wie erfolgsträchtig in Töne umgesetzt hat. Gleichwohl raffte sich das Goethetheater auf, „La Boheme“ auf die Bühne zu bringen.
Nunmehr sprechen die zuständigen Behörden ein Machtwort. Die für Freitag, 15.1., geplante Premiere findet nicht statt. Die Operbühne wird für drei bis fünf Wochen, nicht wegen der von Mimi's Schwindsucht ausgehenden Infektionsgefahr, sondern wegen rieselnden Asbests geschlossen.
Puccini muß weichen, im Mai, so hofft das Theater, kann die Premiere nachgeholt werden. Schade drum, denn das Nachdenken über Puccinis Dauerbrenner muß so verschoben werden.
Anlaß zum Nachdenken, so war zu mutmaßen, hätte die jetzt geplatzte Premiere reichlich gegeben. Drei entscheidende Faktoren hätten diesen Abend wohl bestimmt. Von Heyme, zum ersten Mal in Bremen als Opernresigisseur tätig, war keine farbenträchtige und tränenreiche „werkgetreue“ Bebilderung zu erwarten. Seine Werktreue — er liebt diese Oper, versicherte er mir auf Nachfragen glaubhaft — hätte wohl zu szenischen Reflektionen über die Gesellschaft und ihre Aussteiger geführt.
Marcello Viotti, unser scheidender Generalmusikdirektor, liebt dieses Werk seines Lansmannes ebenso — auch und gerade wegen dessen Gratwanderung zwischen U-und E-Musik. Dies tat er den Freunden der „Deutsch-italienischen Gesellschaft“ in der ersten Veranstaltung der Reihe „en passant“ am Dienstag kund. Werktreu, nicht sklavisch am Notentext klebend, sondern frühere Aufführungstradition wiederbelebend, wollte er die Partitour zum Klingen bringen. So sollte es tönen, daß ihm wohl eine der szenischen Aufführungstradition des Werkes entsprechende Inszenierung lieber gewesen wäre.
Als dritter, die Aufführung gestaltender Faktor, wäre die Budget-Knappheit hinzugekommen.
Puccini gestern und heute, Oper zwischen kulinarischer Erbauung und analytischem Zugriff, Kunstproduktion im Würgegriff der Mittelknappheit — oder von ihr zur „Wesentlichkeit“ gezwungen: Das hätte ein spannender Theaterabend werden können. Ob Konzeptionsclinch vor dem Hintergrund leerer Kassen der Stoff ist, aus dem Opernträume — oder Opernalpträume — gemacht werden, werden wir also nicht erfahren. Viottis vollgeschriebener Terminkalender wird wohl im Mai zum Wegfall des italienischen Faktors führen. Mario Nitsche
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