: Jubeljahr in Spanien
■ Pilgerreisen nach Santiago de Compostela
In „Jubeljahren“ fällt der 25.Juli, der Namenstag des hl. Jakobs, auf einen Sonntag. Dann winkt PilgerInnen im nordspanischen Santiago de Compostela der „große Ablaß“. 1993 ist es wieder soweit – und darüber freuen sich fromme Menschen in ganz Europa genauso wie die Tourismusmanager in den Gegenden, durch die der legendäre Pilgerweg nach Santiago führt. Sechs Millionen Touristen zählte man dort im vergangenen Jubeljahr 1982.
Pilgerreisen nach Santiago de Compostela, wo der Legende nach im 9. Jahrhundert die Gebeine des Jesu-Apostel Jakobus gefunden wurden, erfreuen sich ohnehin wachsender Beliebtheit, weiß Dr. Robert Plötz. Er ist Präsident der 1987 gegründeten Deutschen St.- Jakobus-Gesellschaft mit Sitz in Aachen und vermutet, daß nicht nur die spirituelle Sehnsucht die Deutschen in Scharen an die spanische Atlantikküste nach Galizien treibt: „Viele Pilger suchen auch die Wurzeln der europäischen westlichen Kultur.“
Die stecken tatsächlich in den Dörfern und Städten, Klöstern und Kirchen entlang der Wege durch Frankreich, die sich südlich der Pyrenäen zu der einen vielbeachteten Route vereinigen, die jahrhundertelang Gläubige auf der Suche nach Seelenheil und Zerstreuung beschritten. Bis ins 14. Jahrhundert hat der frühe und fromme Tourismus mit dem Geld der PilgerInnen auch Wohlstand und Kultur in den Norden des Landes gebracht, in dem die reconquista ihren Anfang nahm. Die Rückeroberung zuvor islamischer Gebiete konnte auf diese Weise einhergehen mit der Verbreitung einer christlich-ritterlichen Kultur.
Die Stadt erfährt eine urbanistische Neuorientierung
Die Jakobus-Kathedrale von Santiago (in ihr wird 1993 viermal täglich die Pilgermesse gelesen) gilt als ein Vorbild des trutzigen Baustils der Romantik, mit der das christliche Abendland seine frische Kraft dokumentierte. Den Jakobsweg als eine Europastraße zu sehen, liegt nahe: „Compostela, camino de Europa“ heißt eine Ausstellung, die im Kloster San Martin Pinario von Juli bis September 1993 gezeigt wird. Es steht ebenfalls in Santigo, dem Zielort aller Erwartungen – auch ganz profaner: Die Stadt erfährt gegenwärtig eine „urbanistische Neuorientierung“, zu der die Restaurierung der Altstadt genauso gehört wie der Neubau eines Fußballstadions.
Sogar eine Rallye findet auf dem Jakobsweg statt
Die Ausstellung ist nur eine von rund 1.500 Veranstaltungen, die ein eigens gegründetes Konsortium für das jakobäische Jahr auf die Beine stellen wird. Kunstausstellungen, Musik-, Theater-, Film- und Tanzfestspiele dürfen genausowenig fehlen wie Kongresse, Symposien und Sportveranstaltungen.
Ziel der spanischen Tourismusmanager ist es, an die kommerziellen Erfolge des Columbus-, Olympia- und Weltausstellungsjahres 1992 anzuknüpfen. Und wenn zu diesem Zweck sogar eine Rallye auf dem Jakobsweg stattfinden soll, so darf die Kirche sich nicht beklagen: Sie hat schon im Mittelalter ganz schön von der Freigiebigkeit der frommen Reisenden profitiert. Nicht nur durch den Verkauf der Jakobsmuscheln, die an keinem Pilgerhut fehlen durften: Davon zeugen eben jene Bauwerke, um deretwillen sich die Pilgerreise auch für Ungläubige noch immer lohnt.
Karl W. Biehusen
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen