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Salz, Honig, Teer und Kohlsamen

Für laizistische Feministinnen geeignet: „Eine eigene Geschichte. Frauen in Europa“  ■ Von Stefanie Holzer

Der Titel „Eine eigene Geschichte. Frauen in Europa“ ist Programm: Die Geschichte der Frauen muß erst geschrieben werden. Frauen fanden bisher nur dann Beachtung, wenn sie Gattin oder Tochter eines irgendwie herausragenden Mannes waren. Die amerikanischen Historikerinnen Bonnie S. Anderson und Judith P. Zinsser haben sich 1978 vorgenommen, der Frage nachzugehen, wie europäische Frauen gelebt haben, wie die Umstände waren, unter denen sie über die Jahrhunderte hinweg mit ihrer – im wörtlichen Sinne – Minderwertigkeit zurechtkommen mußten. Zehn Jahre haben sie geforscht. Das Ergebnis wurde 1988 im Verlag Harper & Row publiziert und wird nun, vier Jahre später, durch das Schweizer Verlagshaus dem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht. In kompakter Form kann man sich nun über frauenspezifische Geschichte informieren, sich und die gegenwärtige Situation als vorläufigen Endpunkt eines Kontinuums verstehen.

Auf den 688 Seiten des ersten Bandes – der zweite soll demnächst erscheinen – geben die Autorinnen eine geraffte Darstellung der weiblichen Geschichte bis zum 18.Jahrhundert. Das Ordnungsprinzip Chronologie wird dem der Soziologie untergeordnet. Demgemäß heißen die Hauptkapitel „Frauen auf dem Land“, „Frauen in der Kirche“, „Frauen der Schlösser und Gutshöfe“ und „Frauen innerhalb der Stadtmauern“. Zwei Gründe scheinen für diese Vorgehensweise zwingend: Erstens soll weibliche Geschichtsschreibung per Definition demokratisch, also nicht nur eine Darstellung der weiblichen Herrschaftsschicht sein; und zweitens wäre das chronologische Durchstreifen der Jahrhunderte in Ermangelung einer ausreichenden Anzahl zeittypischer Leitfiguren mit großen Schwierigkeiten behaftet.

Einen Eindruck von der Lektüre zu geben, ist insofern schwierig, als man es bei der wenig aufregenden Feststellung, daß Frauen im Laufe der Geschichte niemals gleichberechtigt waren, bewenden lassen könnte. Allerdings würde eine solche Zusammenfassung an dem vorbeigehen, was die Autorinnen in mühevoller Kleinarbeit zusammengetragen haben, um zu belegen, daß Frauen das Aussehen der Welt entscheidend mitgeprägt haben. Dabei geht es zum Beispiel um heutzutage lächerlich anmutende typisch weibliche Fertigkeiten wie das Stricken. Erfunden wurde diese Qual meiner Pflichtschultage angeblich im 14.Jahrhundert von einer englischen Bäuerin. Das Stricken stellte eine neue Erwerbsmöglichkeit dar, nachdem das Spinnen in den Städten mechanisiert worden und damit die Frauen auf dem Land ihres durch Jahrhunderte sicheren Einkommens beraubt waren. Der damalige Stellenwert dieser Tätigkeiten läßt sich daran ablesen, daß 40 Prozent des Vermögens einer französischen Familie des 16.Jahrhunderts in Decken, Federbetten, Tüchern, Polstern und ähnlichem bestanden. Kein Wunder, wenn noch 1960 (in Sizilien) die Herstellung eines Leintuches für die Aussteuer die Arbeitskraft zweier Frauen zwischen 15 und 20 Tage lang beanspruchte.

Abgesehen von Informationen dieser Art bieten die Autorinnen in höchst lesbarer und zwangloser Weise Nachhilfeunterricht für Menschen, deren historisches Schulwissen Auffrischung vertragen kann. Sie klopfen überkommene Wahrheiten auf Haltbarkeit und Richtigkeit ab. Zum Beispiel dachte ich, daß man vor der Industrialisierung viel früher geheiratet hätte als heute. Das entspricht offenbar nicht den Tatsachen. Das Heiratsalter und die Kinderzahl richteten sich nach den ökonomischen Bedingungen. Auf gut deutsch: Arme Bauern und Städter heirateten ihre Bäuerinnen und Städterinnen in schlechten Zeiten spät, um die Empfängnismöglichkeit einzuschränken. Königskinder allerdings sahen sich manchmal bereits im Kindesalter mit Gesponsen versorgt, so daß die Erbfolge gesichert war.

Damit sind wir bei einem immer noch heißen Thema angelangt: „Empfängnisverhütung praktizierte man durch sexuelle Abstinenz und durch Unterbrechung des Geschlechtsaktes (Coitus interruptus). Es mochte durchaus der Mann sein, der sich um die Vermeidung der Schwangerschaft bemühte, so beispielsweise Giles Barnes von Cricket St. Thomas (Somerset) im 17.Jahrhundert. Er hatte die Frau geheiratet, die er geschwängert hatte, danach jedoch, so erklärte er vor dem Kirchengericht, ejakulierte er außerhalb ihres Körpers. Er wollte keine Kinder mehr und drohte, ihr die Eingeweide aus dem Bauch zu schneiden, wenn sie empfing. Bäuerinnen kannten auch eigene Möglichkeiten, die Empfängnis zu vermeiden oder, wenn sie bereits schwanger waren, die Frucht abzutreiben. Sie glaubten an Spülungen und Purgationen, sie verwendeten Salz, Honig, Teer, Blei, Pfefferminzsaft oder Kohlsamen als spermienabtötende Substanzen. Abtreibungsmittel wie Blei und Mutterkorn waren wirksam, aber gefährlich. Eine Frau, die genügend Blei aufgenommen hatte, wurde für immer unfruchtbar. Andere Mittel reinigten zwar ihren Organismus, beeinträchtigten die Schwangerschaft jedoch nicht direkt (Aufgüsse von Rosmarin, Myrte, Koriander, Weidenblättern, Balsamine, Myrrhe, Kleesamen, Petersilie oder tierischem Urin). Mehr Wirkung zeigten wahrscheinlich das Verstopfen der Vagina oder das Abdecken des Muttermundes mit Bienenwachs oder leinenen Tüchlein, wie es in deutschen und ungarischen Quellen erwähnt wird.“

Wenn das nicht gewollte Kind schon auf der Welt war, setzte man es aus oder tötete es gar. Weibliche Kinder wurden zu Zeiten bevorzugt dieser postnatalen Geburtenregelung zugeführt. Das natürliche Geschlechterverhältnis von 100 Frauen auf 105 Männer wurde dadurch verfälscht: 100 Frauen kamen beispielsweise im England des 13.Jahrhunderts auf 133 Männer.

Bewegungen brauchen Helden. Die Frauenbewegung feiert zur Zeit die Ikonen Djuna Barnes, Gertrude Stein und Virginia Woolf. Mir als laizistischer Feministin sind die Auswahlkriterien für feministische Heldinnen nicht nachvollziehbar. Die drei genannten Damen als Penaten für den lesbischen Teil der Bewegung kann ich verstehen. Wer aber schützt das Haus der Nicht-Lesbierinnen?

Zinsser und Anderson zählen eine stattliche Anzahl von Frauen auf, die über die Jahrhunderte ihre Rechte einforderten und am Ausbau derselben arbeiteten. Unglaublich viele religiöse Frauen und natürlich Adelige taten neben den Bäuerinnen, was sie konnten, um ihre Situation zu verbessern. 1610 tat eine Nonne namens Mary Ward kund, wie sie die Geschlechterrollen beurteilte: Sie war sicher, daß „es keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt, der so geartet wäre, daß Frauen nicht große Dinge vollbringen könnten; [...] denn was soll man von der Redensart ,nur Frauen‘ halten? Als ob wir in allen Dingen irgendeinem anderen Geschöpf, das zufällig ein Mann ist, unterlegen wären!“

Unter den Adeligen der europäischen Geschichte scheint mir Eleonore von Aquitanien ein hervorragendes Exemplar zu sein. Sie heiratete aus erbtechnischen Gründen einen Verwandten, von dem sie sich scheiden ließ, weil er nur Mädchen (sic!) zu zeugen imstande war. Dann arrangierte sie selber eine Ehe mit HeinrichII. von England. Als Heinrich sich später weigerte, ihren Söhnen Länder zu übergeben, hob sie gemeinsam mit ihren Sprößlingen gegen den Vater ein Heer aus. Sie verlor die Schlacht. Heinrich ließ sie nicht hinrichten, sondern setzte sie elf Jahre lang gefangen. Nach seinem Tod trat sie wieder auf den Plan und regierte mit ihren Söhnen. Eine wahrhaft machtgierige, fürchterliche Person! Welche Labsal inmitten all der guten Menschen, die zu feministischen Heldinnen stilisiert werden.

Natürlich waren solche Frauenzimmer isoliert; natürlich ging es ihnen um den eigenen Vorteil. Frauensolidarität im großen Stil gab es kaum, und wenn, dann wurde sie nicht recht ernst genommen: „you are desired to goe home, and looke after your owne businesse, an meddle with your huswifery“. Mit diesem Ratschlag wurde 1649 eine von 10.000 Frauen wegen unzumutbarer ökonomischer Bedingungen an das House of Commons gerichtete Petition entgegengenommen.

Andersons und Zinssers Geschichte der europäischen Frauen ist im wesentlichen eine Geschichte des Überlebens trotz weitgehender und gravierender rechtlicher Benachteiligungen; es ist eine Geschichte individueller Aufstände gegen die festgefügte männliche Herrschaft. Die Sachlichkeit der Autorinnen ist wohltuend, und man ist gewillt, über die ganz wenigen Stolpersteine wie den folgenden hinwegzulesen: „Frauen wie Eleonore von Aquitanien, Isabella von Kastilien und Margarete von Dänemark wußten die Gesetze und die ihnen gebotenen Gelegenheiten zu nutzen, um das Zepter zu führen, doch blieb es die Macht von Männern, benutzt zu Zwecken, die von Männern hochgeschätzt wurden.“ Was wären Zwecke, die von Frauen geschätzt werden? In Ermangelung diesbezüglicher allgemeiner Vorstellungen nehme ich bis auf weiteres an, daß Eleonore von Aquitanien einen wie auch immer moralisch zu beurteilenden Lustgewinn daraus gezogen hat, ihren Gatten in Schach zu halten.

Die Nichtwählbarkeit adeliger, reicher und mächtiger Frauen in den Kreis feministischer Hausgöttinnen deutet an, daß die Forderung nach Gleichwertigkeit der Frau in einer wie auch immer gearteten Gesellschaft nicht das ins

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Auge gefaßte Ziel des Feminismus sein kann. Der Endpunkt der Bewegung soll wohl eine ideale Gesellschaft guter Menschen sein, in denen Eleonore, ElisabethI., Maria Theresia und all die anderen – mit heutigen Maßstäben gemessen – ethisch-moralisch nicht einwandfreien Frauen, nicht einmal als, meinetwegen, krude Prototypen des Feminismus Platz haben.

In gleicher Weise ist wohl Andersons und Zinssers Verurteilung der Aufklärung zu verstehen. Die Formulierung der Menschenrechte wird für wertlos erklärt, weil die Aufklärer sich über die von ihnen selbst formulierten Regeln hinweggesetzt haben. Unterschlagen wird dabei, daß erst die Erklärung der Menschenrechte es möglich machte, selbige einzuklagen. In ähnlicher Weise verfuhr Alice Schwarzer anläßlich der PorNo- Debatte mit dem männlichen Teil der 68er Linken. Die Herren haben wieder nicht zur Gänze eingelöst, was sie in der Theorie wohl versprochen haben. Wenn man sich dagegen entscheidet, es bei einer Schelte der sich immer wieder als fehlbar erweisenden Herren der Schöpfung bewenden zu lassen, könnte die Erkenntnis heilsam sein, daß die Annahme, es gebe das Gute an sich, eine äußerst gutgläubige, aber wenig realistische ist. Gerade als Merkhilfe gegen diesen keineswegs zielführenden Glauben eignet sich das in Rede stehende Buch.

Katharina Biegger Schwarz' Übersetzung ist ebenfalls zu loben. Nachfragen würde ich allerdings gerne an jener Stelle, die das Schlachten und Verarbeiten von Schweinen beschreibt: „[...] fingen sie das Blut auf, sobald die Kehle durchschnitten war, und verarbeiteten es mit Getreide zu einem Blutpudding oder füllten es ab zu Blutwurst. Den Kadaver sotten sie in Wasser, damit sie die Borsten abschaben konnten, welche sie für Bürsten brauchten [...]“ Soweit meine das Schweineschlachten anbetreffenden Kenntnisse reichen, werden tote, nicht ausgeweidete Schweine mit heißem Wasser überbrüht, damit eben die Borsten sich abschaben lassen. Das Sieden hätte dagegen eher unvorteilhafte Auswirkungen auf die noch im Inneren des Schweines befindlichen Eingeweide. Steht das so im Original?

„Da nur Frauen Bücher lesen, sollen diese von ihnen geerbt werden.“ So sprach der Sachsenspiegel im 13.Jahrhundert (Erb-)Recht. An diesem Satz sieht man, daß sich seither ein paar Dinge geändert haben: Mittlerweile lesen auch Männer. Deshalb sei dieser erste Band nicht nur jenen Frauen, die von Svende Merian, Verena Stefan, Anja Meulenbelt, Luise F. Pusch et al. feministisch erweckt wurden, ernsthaft zur weiterführenden kurzweiligen Lektüre empfohlen; auch diverse Märchenprinzen mögen sich der soliden Schwarte getrost annehmen.

Bonnie S. Anderson/Judith P. Zinsser: „Eine eigene Geschichte. Frauen in Europa“. Band 1: „Verschüttete Spuren. Frühgeschichte bis zum 18. Jahrhundert“. Aus dem Amerikanischen von Katharina Biegger Schwarz. Schweizer Verlagshaus, Zürich 1992. 688 Seiten, Leinen, 68DM.

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