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■ Eine Sparliste, die nicht den Namen „Solidarpakt“ verdientPatchwork der Unfähigkeit

Tagelang haben die Unterhändler der Regierungsparteien hinter verschlossenen Türen über einer neuen Sparliste gebrütet. Was dabei herausgekommen ist, kann jedoch weder als ausgewogene Vertragsofferte an Opposition und Gewerkschaften betrachtet, geschweige denn als ein Konzept verkauft werden, das die Bezeichnung Solidarpakt verdient. Einkommmensabhängige Einsparungen beim Erziehungs-, Kinder- und Wohngeld, Kürzungen bei Arbeitslosengeld und Sozialhilfesätzen, etwas Subventionsabbau in der Landwirtschaft, bei Werften und im Steinkohlebergbau, dazu höhere Versicherungssteuern und einige Millionen weniger für die Rüstung — das ist offensichtlich alles, was den Bonner Koalitionären an Vorschlägen noch eingefallen ist.

Summa summarum, so verkündete gestern der Bonner Kassenwart Theo Waigel, sollen mit dem Paket insgesamt 18 Milliarden Mark eingespart werden. Das ist nicht gerade wenig, aber ein Klacks, wenn man bedenkt, daß allein der Nachtragshaushalt für dieses Jahr weitere 13 Milliarden verschlingen wird. Eine verbindliche Perspektive für die Finanzierung der deutschen Einheit bietet die ausgehandelte Streichliste jedoch nicht. Statt dessen wird, getreu der bisherigen Haltung, weiter mit windigen Zahlenkonstrukten, Neben- und Schattenhaushalten herumjongliert und der längst fällige Kassensturz auf die Zeit nach den Wahlen 1994 vertagt. Dabei hat die Stunde der Wahrheit für Kohl, Waigel & Co. längst geschlagen: Der Staat ist mit über 2.000 Milliarden Mark verschuldet, der deindustrialisierte Osten muß auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinaus mit dreistelligen Milliardenbeträgen alimentiert werden.

Daß das neue Streichkonzert alles andere als sozial ausgewogen ausfallen würde, dürfte bereits nach Bekanntwerden der ersten Vorschläge klar gewesen sein. Nicht einmal zu der selbst vom konservativen Sachverständigenrat vorgeschlagenen Ergänzungsabgabe konnten sich die Koalitionäre durchringen. Es kam, wie es kommen mußte: Der lang angekündigte Solidarpakt blieb letzten Endes in der Grauzone von Geschwätzigkeit, Unentschlossenheit und Taktierereien hängen. Statt mit Konzepten wird mit täglich neuen Beiträgen hantiert, die sich zu nichts anderem als zu einem Patchwork der Unfähigkeit zusammenfügen lassen. Diese Koalition ist nicht in der Lage, die zentralen Probleme der Wirtschafts- und Finanzpolitik auch nur annähernd zu lösen. Mehr noch: Sie hat sich mit ihrer hilflosen Finanzpolitik selbst matt gesetzt. Je länger aber die desaströse Schuldenpolitik anhält, desto härter werden vielleicht schon morgen die Verteilungskämpfe geführt. Erwin Single

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