: Die Kleinen läßt man laufen
... um die Großen doch noch zu packen/ Erstmals soll sich heute im coop-Prozeß der Hauptangeklagte Alfons Lappas zu den Vorwürfen äußern ■ Von Donata Riedel
Berlin (taz) – Nach elf Monaten wird heute im coop-Prozeß erstmals einer der Hauptangeklagten, Alfons Lappas, zu den Vorwürfen der Anklage Stellung nehmen. Seit dem 24. Februar versucht die Staatsanwaltschaft, den größten Wirtschaftskrimi der deutschen Nachkriegsgeschichte juristisch aufzuarbeiten. Dem früheren Aufsichtsratsvorsitzenden Lappas sowie den ehemaligen coop-Vorständen Bernd Otto, Dieter Hoffmann und Michael Werner wird Bilanzfälschung, Untreue und Prospektbetrug vorgeworfen – Delikte, auf die bis zu zehn Jahre Haft stehen.
Die Herren Vorstände sollen sich außerdem persönlich um 25,6 Millionen Mark bereichert haben. Nachdem der Spiegel die Affäre 1988 aufgedeckt hatte, wäre der damals noch gewerkschaftseigene Einzelhandelsriese mit 2.200 Filialen und 48.700 Beschäftigten beinahe in Konkurs gegangen.
Neben der Bestrafung von Wirtschaftskriminellen geht es auch um viel Geld: falls die Angeklagten verurteilt werden und falls nachgewiesen werden kann, daß die Gewerkschaftsholding BGAG über eine Zwischengesellschaft Mehrheitsaktionärin der coop war, dann hat die in SB-Kauf AG umgetaufte coop AG gute Chancen, Schadensersatz von der BGAG zu verlangen. Das Zivilverfahren ist bereits eröffnet, die SB-Kauf verlangt 394 Millionen Mark von der BGAG. Weitere Schadensersatzforderungen könnten die 150.000 Kleinaktionäre stellen, die um ihr Vermögen geprellt wurden. Und die Chefs von 118 Banken dürften kaum vergessen haben, daß sie 2,7 Milliarden Mark an faulen Krediten abschreiben mußten. Nur für die 30.000 Arbeitsplätze, die nach dem Skandal von der Retterin Asko bei coop abgebaut wurden, braucht die BGAG, die Dachgesellschaft im einst stolzen Imperium der Gewerkschaftsunternehmen, niemanden zu entschädigen.
Während Ex-coop-Vorstand Otto die Anklage nur als „schlechten Scherz“ bezeichnet und Lappas die Vorwürfe „lächerlich“ findet, kann die Staatsanwaltschaft erste Erfolge verbuchen. Der mitangeklagte Ex-Vorstandssekretär Hans Gitter, inzwischen wegen Beihilfe zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt, gestand, daß die Vorwürfe der Anklage „im wesentlichen zutreffend“ seien. Gitter zeigte außerdem tätige Reue, indem er 1,1 Millionen Mark an die coop zurückzahlte. Rätselhaft blieb dabei allerdings, wohin er jene drei Millionen Mark aus coop-Kassen überwiesen hat, die nach seiner Aussage „verschwunden“ sind. Böse Zungen behaupten nun, die coop hätte sich mit ihrem Verzicht auf Forderungen an Gitter für den Zivilprozeß gegen die BGAG einen aussagebereiten Zeugen gekauft.
Aussagewillig ist auch ein zweiter Nebenangeklagter, der Ex-Abteilungsdirektor Finanzen, Norbert Lösch. Lösch belastete Lappas schwer: der coop-Aufseher und BGAG-Vorstand sei von Anfang an in die Gespräche zur Neuordnung der Beteiligungsverhältnisse bei coop einbezogen gewesen. Aus Briefen, Aktennotizen und Aussagen Löschs liest die Staatsanwaltschaft heraus, daß die coop-Großaktionäre, die angeblich selbständigen Gesellschaften „GfH“ und „Skan“, Briefkastenfirmen waren, deren Bücher ab 1984 von der coop geführt wurden. Die coop hat demnach einen großen Teil ihrer eigenen Aktien gehalten, was nach dem Aktiengesetz verboten ist. Auch Lösch hat sich mit SB Kauf außergerichtlich geeinigt.
Prozeßbeobachter gehen nun davon aus, daß nach Lösch zunächst Ex-Vorstand Michael Werner und der ebenfalls wegen Beihilfe angeklagte Bilanz-Direktor Klaus-Peter Schröder-Reinke (dem der schöne Ausspruch: „Erst die Bilanz machen, dann buchen“ zugeschrieben wird) relativ milde verurteilt werden – damit sich das Gericht dann auf die vermutlichen Haupttäter Otto, Hoffmann und Lappas konzentrieren kann.
Die drei sind für die Ermittler Köpfe einer „kriminellen Vereinigung“ die sich unter dem Namen „Arbeitskreis zur Umgestaltung der Gesellschafterverhältnisse bei coop“ 1984 zusammenfand. Zu diesem Zeitpunkt gehörten der BGAG offiziell 49 Prozent der coop-Aktien. In Wahrheit sollen ihr aber über die Briefkastenfirmen GfH und Skan fast alle coop- Anteile gehalten haben. Die Tarnfirmen hatten die Aktien mit Krediten der Bank für Gemeinwirtschaft (der heutigen BfG-Bank) gekauft, die damals zu 90 Prozent der BGAG gehörte. Wegen der Neuen Heimat hatten BGAG und BfG schwere und die coop gewisse Finanzprobleme, die der „Arbeitskreis“ durch die Neuordnung der Beteiligungen mindern wollte.
Zu diesem Zweck sollte die coop die Tarnfirmen (damit also ihre eigenen Aktien) kaufen und deren Schulden bei der BfG bezahlen. Über eine weitere Untergesellschaft der coop soll dann die BGAG auch ihre offiziell gehaltenen Aktien zur coop verschoben haben. Lappas hätte damit seine aufsichtsratsmäßige Fürsorgepflicht grob vernachlässigt. Denn die coop mußte für all das zahlen – mit Geld, das sie nicht hatte und sich nach den Beschlüssen des „Arbeitskreises“ über Kreidte besorgen sollte. Um die Banken von der Seriosität des Einzelhandelskonzerns zu überzeugen, wurden bei der coop Gewinne „gemacht“ (Bilanzfälschung) und Dividenden gezahlt (Dividendenschädigung). So wurde auch der Schweizer Bankverein überzeugt, coop-Aktien an die Börse zu bringen (Prospektbetrug). Des weiteren gründeten die Vorstände diverse Stiftungen in der Schweiz, über die dann die persönliche Bereicherung stattfand.
Aufgeflogen wäre davon wohl nichts, wenn echte Gewinne gemacht worden wären. Aber die coop-Chefs bauten immer kompliziertere Konstrukte zur Verschleierung der desaströsen Lage des Konzerns, bis der Spiegel auf das Auslandsgeschäft aufmerksam wurde – und nur Briefkastenfirmen fand.
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