: Weich wie Europas Stahl
■ Die Branchenkrise trifft auch Thyssen/ 8.000 Arbeitsplätze sollen weg
Duisburg (AP/taz) – Deutschlands größte Stahlköchin, die Duisburger Thyssen Stahl AG, will bis zum Herbst nächsten Jahres jeden siebten Arbeitsplatz abbauen. Der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, Ekkehard Schulz, kündigte gestern an, daß mehr als 8.000 der rund 57.700 Arbeitsplätze der Thyssen-Stahl-Betriebe voraussichtlich einem umfangreichen Rationalisierungsprogramm zum Opfer fallen werden. Der Abbau solle möglichst sozialverträglich erfolgen, sagte er bei der Vorstellung der Unternehmensbilanz 1991/92. Doch seien auch Kündigungen nicht völlig auszuschließen.
Im letzten Quartal 1992 hat der Branchenführer die Rohstahlproduktion um fast ein Viertel auf 2,1 Millionen Tonnen zurückgefahren. In fast allen Thyssen-Stahl- Betrieben wurde die Kurzarbeit ausgeweitet. Im Januar wurde für 11.900 Beschäftigte Kurzarbeit angemeldet.
Dabei wird sich die Stahlkrise in diesem Jahr wegen der schlechten Konjunktur noch ausweiten. Wie bereits in den frühen 80er Jahren halten Europas Stahlbarone auch diesmal im Angesicht der Krise nicht mehr allzuviel vom freien Markt, den sie während des Booms gerne beschworen. Auf EG-Ebene versucht sich bereits die EG-Kommission an einem „Aktionsprogramm“.
Zwar haben die Brüsseler BeamtInnen das Euro-Stahlkartell aus der Zeit zwischen 1980 und 1985 noch nicht wiederbelebt. Inhaltlich erfüllt ihr Programm jedoch alle Kriterien eines Kartells: Die „Unternehmen der Stahlindustrie“ sollen danach „ein koordiniertes Vorgehen an den Tag legen“. Wettbewerb solle es nur noch „unter Wahrung von Ausgewogenheit“ geben, beschloß die Kommission am 24. November 1992.
Schätzungen der Wirtschaftsvereinigung Stahl, nach denen 1993 mit einem Rückgang der westdeutschen Rohstahlproduktion um fünf Prozent auf 35 Millionen Tonnen zu rechnen ist, hält Schulz für zu optimistisch. Eine durchgreifende Besserung sei nur durch die Stillegung erheblicher Kapazitäten in Europa zu erreichen, sagte Schulz. Wer wo in der EG um wieviel abspecken sollte, sagte er allerdings nicht.
Im zu Ende gegangenen Geschäftsjahr 1991/92 (30. September) schrieb Thyssen noch schwarze Zahlen. Allerdings schrumpfte der Jahresüberschuß von 317 Millionen auf 36 Millionen Mark.
Sehr viel schlechter noch als Thyssen geht es dem italienischen Stahlriesen Ilva, der vor einer Liquiditätskrise steht. 1992 machte Ilva zwischen 1,5 und 1,8 Billionen Lire (1,8 bis 2,17 Milliarden DM) Verlust. Das ist mehr als die Hälfte des Gesellschaftskapitals. Da nach italienischem Aktienrecht bei einem Verlust von einem Drittel des Kapitals ein Kapitalschnitt oder eine Auffüllung erfolgen müssen, wurde zum 22. Januar eine Krisensitzung des Vorstands zu diesem Thema einberufen. dri
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