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Stärkekult des 19. Jahrhunderts-betr.: "Eine UNO-Intervention und ihre Folgen", "SPD von Ghali wenig beeindruckt", taz vom 13.1.93

betr.: „Eine UNO-Intervention und ihre Folgen“, „SPD von Ghali wenig beeindruckt“,

taz vom 13.1.93

[...] Hinter der Reduzierung und Fixierung der Bundesregierung und der Mehrheit der Medien auf Kampfeinsätze verbirgt sich der überholte nationalstaatliche Stärkekult des 19. Jahrhunderts. Die Souveränität von der Erteilung des weltweiten Schießbefehls abhängig zu machen, ist Ausdruck einer beamtenhaften Außenpolitik von vorgestern. Die politische Klasse steht damit gegen eine deutliche Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Während selbst Blauhelmeinsätze mehrheitlich nicht akzeptiert sind, sprechen sich für Kampfeinsätze der Bundeswehr auch im Rahmen der UNO nur 15 Prozent aus. Die Ergebnisse beweisen zumindest die Notwendigkeit einer breiten gesellschaftlichen Diskussion. Ohne einen breiteren Konsensus darf sich auch der Deutsche Bundestag nicht in eine Verfassungsänderung zum Bundeswehreinsatz hetzen lassen, mit der über Tod und Leben junger Staatsbürger entschieden werden kann.

Wie wenig überzeugend die Argumente für deutsche Kampfeinsätze auf die Bevölkerung wirken, belegen die sprunghaft angestiegenen Zahlen der 151.212 Wehrdienstverweigerer im Jahr 1991 und die 123.677 allein in den ersten neun Monaten des Jahres 1992.

Gegen die Plattheit der „Normalisierer“ muß endlich die Zweckmäßigkeit von weltweiter Gewaltanwendung durch Deutschland auf den Prüfstand gestellt werden. Normal ist doch, daß sich auch Staaten unterscheiden. Normalisierung heißt nicht blinde Anpassung an andere, sondern die eigenen Erfahrungen zur Grundlage des zukünftigen politischen Handelns zu machen. Dazu gehört die Erinnerung an die zwei Weltkriege, den Holocaust und die Anpassung in der kommunistischen Erziehungsdiktatur. Die schreckliche Vergangenheit hat unserem Land die Chance zu einer zivilen, auf sozialen Ausgleich angelegten „Weltinnenpolitik“ eröffnet. Das ist kein „Sonderweg“, sondern zukunftsorientierte Realpolitik eines friedliebenden Volkes, das in seiner überwältigenden Mehrheit nie wieder zur Destruktion beitragen will. Die Befürworter von unbegrenzten Kampfeinsätzen der Bundeswehr im Rahmen der UNO wollen Deutschland nicht dem „Provinzialismus“ verhaftet sehen. Im Klartext: Ohne das außenpolitische Instrument der militärischen Optionsmöglichkeit empfindet man sich als Industrieland zweiter Wahl.

Die Ablehnung von Kriegseinsätzen bedeutet keine Drückebergerei vor der Übernahme von mehr Weltverantwortung. Statt den prestigeträchtigen und medienwirksamen Kampfeinsätzen nachzulaufen, sollte die deutsche Regierung sich auf die Bekämpfung der neuen Menschheitsbedrohungen konzentrieren. Das sind durch ökologische Fehlentwicklungen verursachte Hungersnöte, durch Klimaveränderungen ausgelöste Überschwemmungen, Armutswanderungen, Umweltschäden durch Tankerunfälle, Natur- und Industriekatastrophen. Daraus ergäbe sich in der Konsequenz die Einrichtung eines wirksamen Friedenskorps unter Beteiligung der Bundeswehr, das den europäischen Institutionen und der UNO als Umwelt- und Katastrophenhilfswerk zur Verfügung gestellt werden könnte.

Die Friedens- und Konfliktforschung verfügt längst über die Erkenntnisse, die eine Deeskalation von Spannungszuständen ermöglichen. Die 20 Millionen Kriegsopfer seit 1945 schreien danach, daß dieses Wissen endlich in der Außenpolitik umgesetzt wird. Auch mit einer modernen Hilfskonvention, die Optionen der militärisch beschützten Hilfe einschließt, und der Forderung nach dem Aufbau einer internationalen Justiz einschließlich einer freiwilligen Weltpolizeitruppe der UNO, kann Deutschland mehr Weltverantwortung praktizieren. Hans Wallow, MdB, Bonn

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