: Auch Krokodile tanzen
■ Die zweite Hälfte des Wishbone - Festivals in der prall überfüllten Schauburg
Das Wort überfüllt kann man leider nicht mehr steigern. Beim ersten Abend des Wishbone Festivals schien die Schauburg schon ausverkauft zu sein, aber wirklich eng wurde es erst am Donnerstag. Man kann Radio Bremen, Ray Anderson und den Musikern nur nochmal zu diesem großen Erfolg gratulieren, denn auch die beiden Sets dieses Abends enttäuschten die hochgesteckten Erwartungen nicht.
Das Ray Anderson Quartet war sicher die eingespielteste Formation des Festivals: Es ist Andersons reguläre Gruppe. Obwohl Schlagzeuger Keith Copeland zum ersten Mal in dieser Formation spielte, klang die Band wie aus einem Guß.
Mit dem ersten Stück, einer wild verzwickten Version des Standards „Cheek to Cheek“ von Irving Berlin zeigte Anderson die Richtung des Sets an. Denn aus dem großen Repertoire der Gruppe spielten sie diesmal eher traditionelle Songs. „Muddy & Willie“ war eine Hommage an den Chicago-Blues, bei „Kinda Garnerish“ konnte man Jahrmarktatmosphäre spüren und der Höhepunkt des Sets war die tiefe, sehr emotionale Version einer Ballade aus den 30er Jahren. Das wunderschön traurige „Brother Can You Spare A Dime?“ sang Anderson in seiner sehr eigenwilligen Vokaltechnik, bei der er manchmal Töne zu spalten scheint.
Andersons Posaune interpretierte diese Songs mit exzessiver Kraft sowie übersprudelndem Einfallsreichtum, die Band folgte ihm mit tänzerischer Eleganz. Bassist Mark Helias folgt Anderson so glatt wie ein Schatten; die beiden verbindet eine fünfzehn Jahre lange Zusammenarbeit. Pianist Simon Nabatov war sein Gegenpol, der mit melodiöser Geschmeidigkeit und einem wahlverwandten Sinn fürs musikalische Abenteuer Andersons solistischen Kraftakten Paroli bieten konnte.
Zum zweiten Set betrat Anderson in anderem Outfit, mit hipper Schlappmütze die Bühne. Auch die Alligatory Band trat an diesem Abend zum ersten Mal öffentlich auf: fünf Jahre lang hatte Anderson in keiner Electric Band mehr gespielt. Die Rhythmusgruppe mit Gregory Jones — b, Pheeroan AkLaff — dr und Ken Crutchfield — perc gab einen sehr schwarzen, funkigen Beat an, und Anderson lud gleich zu Beginn des Sets das Publikum ausdrücklich zu tanzen ein (obwohl dafür kaum Platz war).
Bei aller Partylaune ist die musikalische Bandbreite der Gruppe groß. „The Alligatory Crocodile“ dampfte von der feuchten Hitze der Sümpfe von New Orleans, „Ah Soca“ hatte lateinamerikanische Wurzeln und die Komposition des Gitarristen Jerome Harris war kühler, fast avantgardistischer Electric Jazz. Trompeter Lew Soloff gab mit seinem messerscharf, rockigen Ansatz einen spannenden Kontrast zu Andersons explosiver Spielweise.
Zum krönenden Abschluß sang er noch ein Loblied auf wohlproportionierte Frauenbeine (mit dem erfrischend obzönen Reim „these legs are to lean, to get between“) und bei der Zugabe wanderte er von der Bühne durch das Publikum, ohne bei dieser Abschiedsgeste auch nur einen Funkbeat auf der Posaune zu verpassen. Willy Taub
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