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Keine Kompromisse

Rushdie erklärte in Dublin, der Iran verdiene „dieselbe Aufmerksamkeit wie Südafrika“  ■ Von Ralf Sotscheck

Als abzusehen war, daß alle Solidaritätskampagnen und Aufrufe die Staaten der westlichen Welt nicht daran hindern würden, ihr Verhältnis zum Iran wieder praktischen Gegebenheiten unterzuordnen, trat Salman Rushdie die Flucht nach vorn an. Seit einem halben Jahr taucht er immer wieder überraschend in den Hauptstädten der westlichen Welt auf, um peinlich berührte Politiker daran zu erinnern, daß so viel Pragmatismus fehl am Platze ist, solange es da noch dieses kleine Problem mit dem Mordaufruf gibt. In Dublin, wo er vergangenes Wochenende Station machte, erklärte Rushdie seine Offensive damit, daß, nachdem die westlichen Geiseln im Libanon frei seien, er endlich keine Rücksicht mehr nehmen müsse. Zuvor habe ihn die britische Regierung zum Schweigen verdonnert, um die Geiseln nicht zu gefährden.

Premierminister Reynolds zeigte sich wenig begeistert von dem überraschenden Besuch. Er verweigerte ein Gespräch und ließ sich aufgrund „anderweitiger Verpflichtungen“ entschuldigen. Den Verdacht, daß seine Absage mit dem Besuch einer iranischen Handelsdelegation am nächsten Wochenende zusammenhängt, mochte Reynolds nicht bestätigen, dafür wurde sein Parteifreund, der ehemalige Außenminister Gerry Collins, erfreulich deutlich: Rushdies Besuch störe „die Beziehungen, die zwischen Irland und dem Iran aufgebaut“ worden seien. Diese Beziehungen bestehen hauptsächlich aus dem gemeinsamen Interesse am Export irischen Fleisches nach dem Iran – nicht erst seit dem Tribunal über Günstlingswirtschaft in der Fleischindustrie weiß man, daß die Regierungspartei ein besonders inniges Verhältnis zu diesem Industriezweig hat.

So war Reynolds schlicht verärgert, daß sich nicht nur die Politiker des Koalitionspartners und der Opposition bei Rushdie die Klinke in die Hand gaben, sondern daß ihn darüber hinaus auch die Präsidentin Mary Robinson zu einem Gespräch eingeladen hatte. Robinson war das erste Staatsoberhaupt, das Rushdie seit dem Todesurteil empfangen hat.

Nachdem er die irischen Parteien in Aufruhr versetzt hatte, mischte sich Rushdie unter die Teilnehmer der Konferenz „Let in the Light“. Die Veranstaltung, an der auch der Watergate-Journalist Carl Bernstein teilnahm, wurde von irischen Journalisten, Rechtsanwälten und Universitätsdozenten organisiert. Sie soll eine ständige Einrichtung werden und die Medienzensur in der ganzen Welt beobachten – nicht zuletzt auch in Irland, wo es seit 1974 weitreichende Zensurbestimmungen gibt.

Dennoch soll, so Rushdie, gerade Irland im Rahmen der EG und anderer europäischer Institutionen den Mordaufruf gegen ihn auf die Tagesordnung bringen, zumal die EG auf ihrem Dezember- Gipfel in Edinburgh formal beschlossen hat, sich für die Aufhebung des Todesurteils einzusetzen. Irlands Stimme habe in Teheran besonderes Gewicht, da es keiner imperialistischen Vergangenheit beschuldigt werden könne.

Rushdie sieht jetzt erste Anzeichen dafür, daß sich etwas bewegt: So hat Kanada einen Großkredit für den Iran storniert, Deutschland das Kulturabkommen mit dem Iran, Norwegen eine Ölbestellung. Zwei skandinavische Regierungen wollten Iran vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag bringen, und Deutschland denke sogar über Wirtschaftssanktionen nach. Dies ist etwas zu optimistisch gedacht. Der deutsche Bundestag drohte in seiner Entschließung vom 10.Dezember 1992 dem Iran zwar eine „Beeinträchtigung seiner politischen und wirtschaftlichen Interessen“ an. Doch solch schweres Geschütz wird nur aufgefahren, wenn „ein Anschlag auf die Person Salman Rushdies verübt wird“.

Rushdie hatte es bisher immer vermieden, einen Boykott gegen den Iran zu fordern. In Dublin machte er jedoch das erstemal eine Andeutung, wohin die Reise gehen könnte: der Iran solle „denselben Platz in der internationalen Aufmerksamkeit einnehmen, den bisher Südafrika innehatte“. Der Iran sei weltweit unter den vier Ländern mit der schlechtesten Bilanz, was die Menschenrechte angehe. „Im Iran herrscht ein terroristisches Regime, das die Welt davon überzeugen will, daß es sich geändert habe“, sagte der Schriftsteller. „Die wahre Natur dieses Gangster-Staates muß jedes Mal angeprangert werden, wenn der Iran sich durch Verbindungen mit anderen Ländern Ansehen verschaffen will.“

Sein größter Fehler sei es gewesen, sich vor zwei Jahren öffentlich zum Islam bekannt zu haben – in der Hoffnung, seine Lage dadurch zu verbessern. „Das war ein Zeichen dafür, wie verzweifelt ich war“, sagt er heute. „Ich wollte damit sagen, daß es möglich ist, ein säkularer Moslem zu sein, genauso wie man auch säkularer Jude sein kann. Es gibt eben Menschen, die zwar die Kultur akzeptieren, aber nicht die Theologie.“ Rushdie ist davon überzeugt, daß die bosnischen Moslems dieser Beschreibung am nächsten kommen. „Sie sind europäisch, nicht fundamentalistisch und nicht fanatisch. Und dennoch ist einer der Gründe, warum die Welt ihnen nicht zu Hilfe geeilt ist, die Tatsache, daß sie Moslems sind. Das ist töricht, weil es den Fundamentalisten dort Tür und Tor geöffnet hat. In zehn Jahren werden wir einen islamischen fundamentalistischen Staat am Rande Europas haben.“

Rushdie sagte in Dublin, daß er eine „absolutistische Haltung in bezug auf Meinungsfreiheit“ entwickelt habe: „Vor zehn Jahren habe ich noch Grenzen für die Meinungsfreiheit akzeptiert, die ich heute nicht mehr gelten lasse. So war ich zum Beispiel lange Zeit davon überzeugt, daß ein Verbot rassistischer Reden vertretbar ist. Heute denke ich nicht mehr so. Als Konsequenz der Meinungsfreiheit muß man auch häßliche Dinge tolerieren.“ Rushdie läßt auch nicht das Argument gelten, daß ein absolutes Recht auf Meinungsfreiheit mit anderen Grundrechten in Konflikt geraten kann: „Es ist ein Recht, ohne das keine andere Freiheit existieren kann. Wenn man beschließt, alles zu verbieten, was irgendjemanden beleidigen könnte, schafft man sehr schnell einen faschistischen Staat.“

Zu seiner persönlichen Situation sagte Rushdie, daß er sich auch nach vier Jahren noch nicht an sein Leben unter Polizeischutz gewöhnt habe: „Es wäre eine Niederlage, sich daran zu gewöhnen. Es ist furchtbar, im Alter von 45 Jahren in einem Zimmer mit zugezogenen Vorhängen sitzen zu müssen.“ Dennoch schreibt er – „sehr langsam“ – an einem neuen Buch. „Der letzte Seufzer des Mohren“ (eine Anspielung auf Sultan Boabdils letzten Blick zurück auf die Alhambra von Granada) spielt in Spanien zur Zeit der Reconquista. Es geht um den Konflikt zwischen einer islamisch-jüdisch-christlichen Mischkultur, in der es keine endgültigen Gewißheiten gibt, und dem katholischen Spanien Ferdinands und Isabellas, das sich im Besitz der Wahrheit wähnt. Dem irischen Autor John Banville sagte Rushdie in der Irish Times: „Das Buch gründet auf meinen Erfahrungen der letzten Jahre. Es ist für mich besonders interessant, weil es wahr ist, nicht fiktiv.“

Rushdie erklärte, er habe keine Angst vor einem einsamen Killer oder einer Gruppe Fundamentalisten, sondern vor organisierten Terrorbanden, die vom Iran bezahlt werden. „Wenn das Todesurteil aufgehoben würde, müßte ich zwar immer noch vorsichtig sein, aber das ist besser, als ständig mit der Polizei zu leben.“ Das letzte bekannte Komplott ist vor vier Monaten aufgeflogen, als drei Iraner aus Großbritannien ausgewiesen wurden.

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