Clinton lockert Abtreibungsrecht

■ Erste Schlappe des neuen US-Präsidenten: Nominierung von Zoe Baird als Justizministerin zurückgezogen

Washington (taz) – Eigentlich sind sie längst ein vertrauter Anblick: Abtreibungsgegner, die durch Demonstrationen vor dem Weißen Haus dem Präsidenten klar machen wollen, daß Schwangerschaftsabbruch Mord und der Schutz des ungeborenen Lebens erste amerikanische Bürger- und Präsidentenpflicht ist. Doch die Kundgebung letzten Freitag in Washington darf man getrost als historisches Ereignis bezeichnen, denn die 75.000 selbsternannten Lebensschützer demonstrierten erstmals mit der Gewißheit, daß sie ab sofort die außerparlamentarische Opposition darstellen – nicht mehr die Frauen- und Bürgerrechtsgruppen. Der Adressat des Protestes saß unterdessen in seinem neuen Amtszimmer und ließ mit ein paar Federstrichen die Restriktionen seiner Vorgänger zu Makulatur werden: Per Exekutiverlaß ordnete Bill Clinton an, daß in den über 4.000 aus Bundesmitteln finanzierten Kliniken und Beratungszentren für Familienplanung über die Möglichkeit einer Abtreibung informiert werden darf. Ex-Präsident Ronald Reagan hatte dies 1988 mit dem sogenannten „Knebelerlaß“ verboten, dessen Inkrafttreteten allerdings bislang auf dem Rechtsweg verhindert wurde.

Drei weitere Anordnungen Clintons haben unmittelbare Konsequenzen: Die USA werden Finanzhilfen an UNO-Einrichtungen und internationale Gruppen wieder aufnehmen, die im Rahmen ihrer Arbeit auch über Abtreibungen informieren oder Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Das von Reagan 1980 verfügte Verbot von Abtreibungen in Militärkrankenhäusern ist ab sofort aufgehoben. Clinton revidierte ein ebenfalls von Reagan verhängtes Verbot, Zellgewebe und Organe abgetriebener Föten für medizinische Forschung zu verwenden. Außerdem wies er die „Food and Drug Administration“ (FDA) an, erneut zu überprüfen, ob die französische Abtreibungspille RU 486 auf dem US-Markt zugelassen werden soll. Daß Clinton diese politische Wende ausgerechnet am 20.Jahrestag der Präzedenzentscheidung Roe gegen Wade vollzog, in der der Oberste Gerichtshof das Grundrecht auf die Wahlfreiheit der Frauen in der Abtreibungsfrage festlegte, erzürnte die Gegner vor dem Weißen Haus ganz besonders.

Peinlich berührt zeigte sich der neue Präsident in einer ganz anderen Angelegenheit: Nach massivem öffentlichen Druck und deutlichen Warnsignalen aus dem Justizausschuß des US-Senats zog Clinton in der Nacht zum Freitag die Nominierung von Zoe Baird als Generalstaatsanwältin und Chefin des Justizministeriums zurück. Bairds Bestätigung durch den Senat war in Frage gestellt, nachdem bekannt wurde, daß sie und ihr Mann zwei illegale EinwandererInnen eingestellt hatten und auf diesem Weg nicht nur gegen herrschende Gesetze verstoßen, sondern auch die Abgaben für die Sozialversicherung gespart hatte. Ersteres ließ sich nur schwerlich mit ihrer zukünftigen Aufgabe als oberste Dienstherrin des Justizministeriums vereinbaren, letzteres rief den unverhohlenen Zorn in Volkes Stimme hervor, die sich in den letzten Tagen durch Tausende von Telefonanrufen in den Senatsbüros meldete.

Von Bairds illegaler Einstellungspraxis hatten sowohl ihr Fürsprecher Warren Christopher, Ex- Chef des Übergangsteams und nunmehr Außenminister, als auch Clinton selbst gewußt. Am Freitag übernahm der Präsident bei einer Pressekonferenz die „volle Verantwortung“ für Fehler bei der Kabinettsbildung.

Eine weitere Oppositionsfront wird Clinton nicht auf der Straße, sondern im Pentagon vorfinden. Dort rauchen die Köpfe der Mitglieder der „Joint Chiefs of Staff“, nachdem diese aus der Presse erfahren hatten, wie Bill Clinton den Bann gegen Homosexuelle im Militär aufzuheben gedenkt. Geplant ist vorerst, weitere Ausschlußverfahren gegen Schwule und Lesben zu stoppen. Dann soll Verteidigungsminister Les Aspin innerhalb einer Frist von drei bis sechs Monaten den Entwurf für einen Exekutiverlaß vorlegen, der den Bann ganz aufheben soll. Nach dem jüngsten Fauxpas in Sachen Informationspolitik hat die militärische Führung jedoch vollends auf Konfrontationskurs geschaltet. Die in ihren Augen drohende Zersetzung der Moral und Einsatzbereitschaft durch offen homosexuelle Soldaten und Offiziere beschäftigt die Generäle zur Zeit offenbar mehr als die Situation im Irak, Somalia oder Bosnien. Andrea Böhm