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Leibowitz lehnt Israel-Preis ab

■ Gegen die Entscheidung, dem namhaften Philosophen und Kritiker der Besatzungspolitik den höchsten Kulturpreis des Staates Israel zu verleihen, protestierten nicht nur die Rechte, sondern auch die Regierung

Tel Aviv (taz) – Der 90jährige israelische Philosoph, Professor Jeschajahu Leibowitz, will auf den „Prix Israel“, die höchste Auszeichnung seines Landes für kulturelle Leistungen, verzichten. Dies teilte er am Sonntag mit. Eine vom israelischen Erziehungs- und Kulturministerium eingesetzte Jury aus den Professoren Aviezer Ravizki und Haim Ben Schahar sowie dem Chef des strategischen Instituts der Universität Tel Aviv, Reserve-General Aharon Jariv, hatte vor einer Woche ihren Beschluß bekanntgegeben, Leibowitz den diesjährigen israelischen Staatspreis für Originalität der Denkweise, für wissenschaftliche Errungenschaften und tapfere Verteidigung der von ihm vertretenen Standpunkte zuzusprechen. Er bekomme den Preis „trotz der unverblümten Ausdrucksweise und scharfen Formulierungen“, für die er bekannt sei, und von denen sich die Jury distanzierte.

Wie zu erwarten war, hat die Entscheidung sofort eine Kontroverse in der Öffentlichkeit ausgelöst. Vor allem meldeten sich die rechten Kritiker zu Wort, die Leibowitz' kompromißlosen Antichauvinismus, seine nunmehr seit 25 Jahren kontinuierlich geäußerte, grundlegende Kritik an der Besatzungspolitik aller israelischen Regierungen und seine daraus folgende moralische Unterstützung für überzeugte Verweigerer des Militärdienstes in den besetzten Gebieten absolut unerträglich finden und oft sogar als „kriminell“ beschimpften. Wäre Leibowitz, der Naturwissenschaftler, nicht auch ein gläubiger Jude, Bibelspezialist und Autor wichtiger religionsphilosophischer Bücher, hätte es längst tätliche Ausschreitungen gegen ihn gegeben, um den „Ketzer“ mundtot zu machen.

Ungeachtet der heftigen Kampagne gegen Leibowitz als Kandidat für die Verleihung des Israel- Preises setzte der greise Wissenschaftler und „Prediger in der Wüste“ seine Tiraden gegen die „Verbrechen der Besatzung“ fort. Am vergangenen Freitag, bei einer öffentlichen Versammlung des Rats für israelisch-palästinensischen Frieden in Tel Aviv forderte Leibowitz die Gründung einer politischen Bewegung in Israel, deren Ziel es ist, das Land (Palästina) in zwei Staaten für die beiden hier wohnenden Völker, israelische Juden und arabische Palästinenser, zu teilen. Den Soldaten müsse klargemacht werden, daß ihr Einsatz in den besetzten Gebieten sie dazu zwinge, zu Mördern zu werden. Deshalb müßten sie den Militärdienst dort verweigern.

Seit Rabins Regierungsbildung vor einem halben Jahr seien in den besetzten Gebieten nicht weniger als zwanzig Kinder von Truppen, vor allem von den als Araber maskierten Sondereinheiten, erschossen worden. Dafür könne es keinerlei Ausreden oder Entschuldigungen geben. Wenn von Terroristengruppen die Rede sei, dann müsse man nicht nur Hamas dazurechnen, sondern ebenso die israelischen, als Araber verkleideten Sondereinheiten. Eine politische Bewegung für den Frieden müsse sich darauf konzentrieren, die Besatzung zu bekämpfen, erklärte Leibowitz.

Die Regierung beschäftigte sich daraufhin bei ihrer wöchentlichen Sitzung am Sonntag ausführlich mit dem Problem der Verleihung des Israel-Preises an Leibowitz. Ministerpräsident Rabin kritisierte die Entscheidung der Jury und gab bekannt, daß er nicht beabsichtige, an der Preisverleihung teilzunehmen. Der Preis wird aus Anlaß des Jahrestages der Staatsgründung jedes Jahr im Mai in Anwesenheit des Ministerpräsidenten verliehen.

Auf Vorschlag des neuen Ministers für Ökologie, Jossi Sarid (Meretz) verurteilte die Regierung schließlich fast einmütig die „erbärmliche“ Entscheidung, dem greisen Professor den Preis zuzusprechen. Außerdem sprach das Kabinett den militärischen Sondereinheiten „der als Araber Maskierten“, die trotz vehementer Kritik im In- und Ausland nach wie vor in den besetzten Gebieten eingesetzt werden, ihr volles Vertrauen aus. In Medienberichten über die Regierungssitzung heißt es auch, daß Jossi Sarid den Philosophen als „einen Provokator ohne alle intellektuelle Ehrlichkeit“ beschimpft haben soll. Der Vergleich der maskierten Sondereinheiten mit Hamas sei „infam“, und Leibowitz hätte einfach seine „Lust daran, die Öffentlichkeit zu schockieren“. Lediglich Schulamit Aloni, die Erziehungs- und Kulturministerin (Meretz) sprach sich gegen die Regierungsschelte an der Entscheidung der Jury aus und stimmte gegen den Entschließungsantrag von Jossi Sarid. Minister Jair Zaban (Mapam-Meretz) enthielt sich der Stimme.

Die gesamte rechte Tzomet- Fraktion in der Knesset, geführt vom ehemaligen Stabschef im Libanonkrieg Rafael Eitan, richtete einen empörten Brief an den Knessetvorsitzenden Schewach Weiss, in dem die Preisverleihung an Leibowitz scharf verurteilt wird. Eines der Tzomet-Knessetmitglieder zeigte Leibowitz bei der Polizei an und verlangte Schritte gegen ihn wegen seines „Aufrufs zur Befehlsverweigerung an Soldaten, die in den besetzten Gebieten zu dienen haben“.

Es war dieses Kesseltreiben gegen die Entscheidung der Jury und gegen seine Person, das Professor Leibowitz am Sonntag abend dazu brachte, seinen Verzicht auf den Preis zu erklären. „Weshalb sollte ich Ministerpräsidenten Rabin in Verlegenheit bringen und ihm solche Unannehmlichkeiten bereiten wollen?“ fragte Leibowitz und fügte hinzu: „Ich bin also bereit, auf den Preis zu verzichten.“

Nach Angaben des Menschenrechts-Informationszentrums „Betselem“ in Jerusalem wurden in den 6 Monaten nach Rabins Amtsübernahme 81 Palästinenser in den besetzten Gebieten von israelischen Soldaten erschossen, darunter 20 Kinder. In der gleichen Zeit kamen dort 16 Israeli ums Leben, davon 10 Soldaten. Allein im Januar wurden 6 palästinensische Kinder unter 17 Jahren erschossen. Amos Wollin

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