piwik no script img

Gericht will Honecker noch einmal hören

■ Streletz beklagt „Wessis“ der Justiz

Berlin (AFP) – Das Berliner Landgericht erwägt, Verbindung zu Erich Honecker in Chile aufzunehmen. Das Gericht neige dazu, Honecker selbst zu befragen, ob er in dem Verfahren gegen seine früheren Mitangeklagten als Zeuge aussagen wolle, erklärte der Vorsitzende Richter der 27. Großen Strafkammer, Hans Boß, am Montag. Die Verteidigung hatte zur Entlastung der verbliebenen Angeklagten eine Zeugenvernehmung Honeckers beantragt. Der Nebenklage-Anwalt Hanns-Ekkehard Plöger stellte einen Ablehnungsantrag gegen die Kammer, weil sie im Dezember die Ehefrau des Honecker-Anwalts Nicolas Becker als Journalistin zu einer nichtöffentlichen Anhörung der medizinischen Sachverständigen zugelassen habe.

Der frühere Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates (NVR), Fritz Streletz, beklagte sich in seiner Vernehmung, vor einem ausschließlich westdeutschen Gericht zu stehen. Die Atmosphäre der Verhandlung werde dadurch bestimmt, daß sich „drei Ossis“ auf der Anklagebank mit einem Gericht und einer Staatsanwaltschaft auseinandersetzen müßten, die nur aus „Wessis“ bestünden. „Es drängt sich der Eindruck auf, vor einem rein ausländischen Gericht zu sitzen, also einem Gericht außerhalb des eigenen Landes“, sagte Streletz. Für ihn sei die DDR die „sozialistische Heimat“ gewesen.

Gegenüber der Staatsanwaltschaft betonte Streletz, der NVR habe nicht die zentrale Rolle gespielt, die ihm in der Anklageschrift zugewiesen werde. „Der NVR war kein Gremium der DDR, in dem grundlegende Entscheidungen für die DDR gefaßt wurden.“ Tagesordnung und Vorlagen für NVR-Sitzungen hätten stets mit der Abteilung für Sicherheitsfragen beim Zentralkomitee der SED abgestimmt werden müssen. Er wolle zwar das verantworten, was „von mir getan oder veranlaßt wurde“. Er habe jedoch immer nur eine „dienende militärische Funktion“ gehabt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen