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Come together in Berlin

■ „Armsein ist asozial“: Jockel Tschiersch im Mehringhof

Jockel Tschiersch. Das ist ein Mann. Ein Mann, der kein Männerseminar braucht, wie manche seiner Geschlechtsgenossen in seinem neuen Programm. Der packt zu. Kräftig. Derb. „Langd hald na“, wie der Allgäuer sagt, und manchmal, sehr selten allerdings, auch voll rein ins „Fettnäpfle“. Geboren ist er nämlich dort, wo – so weiß der (sexistische) Volksmund – die Kühe schöner sind als die Frauen: im Allgäu. Hernach lebte er dort, wo Männer beim Wort „blond“ zuerst ans Bier denken: in München.

Nun hat's ihn schon vor einiger Zeit nach Berlin verschlagen, und es scheint, als hätte er Bauern- und Bayernwitz per Osmose mit Berliner Pampigkeit direktester Art vermischt. Rein geographisch ein Ding der Unmöglichkeit und auch sonst unmöglich unverschämt, kabarettistisch aber eine Glanznummer. Der Mann stampft über die Bühne des Mehringhoftheaters, als wollte er damit jene treten und treffen, die ihn zur Raserei und Weißglut bringen. Wutschnaubend, irgendwann fast schon mit irrem Blick und einem Repertoire an Beschimpfungen, die selbst Ruhrpott-Schimmi zur Handarbeitslehrerin mit Gebetsallüren machen, zieht er über – na, wen schon, her? Kohl, Möllemann, Waigel, Merkel (Kohl: „Ich muß ihr den Weichspülfeminismus austreiben...“) und das ganze restliche Bonner Gruselkabinett und -parlament. Insbesondere wenn Tschiersch sich der rheinischen Frohnatur aus Oggersheim nähert, ihr Wesen zu ergründen sucht, da spuckt er reichlich Gift und Galle (was dann sogleich die ersten drei Zuschauerreihen beregnet).

Doch bestünde Tschierschs Programm „Armsein ist asozial“ nur daraus, gewichtige Männer auf den Arm zu nehmen, wäre geradezu der Vergleich zu einem Trockentraining mit Luftballonhanteln angebracht. Nein, seine Qualitäten liegen darin, sich selbst von einer Figur zur andern zu zappen. Als Manager Frommknecht des FCK- Unternehmens („Frommknecht Consulting & Konzertmanagement“), ist er von Berufs wegen ein „head-hunter“, immer auf der Suche nach dem Kleinkünstler an der Existenzgrenze. Auf der Bühne wird der „head-hunter“ zum „Hautwechsler“: Blitzschnell wechseln Mielke, der schwäbische Kusseng aus Böblingen, Mutter Beimer („der nationale Mutterkuchen“), der Nachwuchsschauspieler und „definitive Erfinder und Vollstrecker des drastischen Theaters“ Anatol Ashman (viel Fäkalien bleiben da als Grüße von Artaud und Castorf auf der Bühne zurück), Kirchner und Zadeck nebst einem vertrottelten Professor die Identität. Tschiersch macht Dampf. Und wehe, wenn das Publikum auch nur eine Sekunde hinterherhinkt. „Honders go?“ grantelt's prompt von der Bühne. Also: „Habt Ihr das jetzt bald kapiert?“ Der Vollblutallgäuer geniert sich nicht ob seines Heimatdialekts, er fügt, wo immer möglich, ein verniedlichendes Schwaben-„le“ an, und hechtet weiter. Auf den Bundespresseball, „a Verträgle“ abschließen. „Come together for Berlin“ ist sein neues Programm als Consulting-Manager, für das er Staatssekretär Tiedcke gewinnen will. Berliner Künstler touren durch Deutschland und werben für Olympia. Und damit beginnt seine Horrortour. Taumelnd irrt er durch den alten Reichstag (es war mal wieder Zeit für ein „historisches Zeichen“), die bundesdeutsche Prominenz lauert ihm geradezu auf: Reich-Ranicki (mitten in einer Haßtirade auf die „paneuropäische Ausländerinnenprosa“ erwischt; brrrr) und Biolek, Lea Rosh und Mike Krüger, Nowottny darf auch nicht fehlen, drei Generäle, Reinhold Messner und Werner Herzog – es scheint, als müßte sich Tschiersch in seinen Rollen verirren.

Aber nein: Reportage live. Alles im (Zangen-)Griff. Immer schneller werden die Schnitte (sprich: Rollenwechsel), immer besoffener die Prominenz und Spiegel-Redakteure. Und immer deutlicher, zorniger werden des Kabarettisten Worte. Es muß – nein, ist ihm verdammt unwohl in diesem Land, wo nicht nur Lichterketten brennen. Und das ist keine Show. Petra Brändle

Jockel Tschiersch im Mehringhoftheater, heute bis Sonntag, 21 Uhr, danach noch nächste Woche, von Mittwoch bis Sonntag

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