: Staatswohl schützt vor Wahrheit nicht
■ Prozeß gegen Knud Andresen und Ralf Gauger: Oberlandesgericht zwings Hamburgs Innenbehörde zur Aktenfreigabe
: Oberlandesgericht zwingt Hamburgs Innenbehörde zur Aktenfreigabe
Erneute schwere Schlappe des Hamburger Staatsschutzes im Prozeß gegen die Rot-Floristen Knud Andresen und Ralf Gauger: Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) hat verfügt, daß die Geheimpolizei alle Observationsakten, die im Zusammenhang mit dem Fall stehen, dem Itzehoer Landgericht übergeben muß. Die Innenbehörde hatte sich monatelang geweigert, die Polizeidokumente freizugeben und sie mit einer „Sperrerklärung“ versehen.
Gauger und Andresen sind wegen Mordversuchs angeklagt, weil sie im Juli 1991 in Pinneberg Betonplatten auf Bahngleise gelegt haben sollen. Vier Hamburger Staatsschützer, die dem Duo von der Roten Flora bis Pinneberg gefolgt waren, wollen die beiden dabei beobachtet haben.
Während des Prozesses, der nunmehr genau ein Jahr andauert, gaben die Geheimpolizisten zu, Gauger und Andresen damals mit ihrer eigentlichen „Zielperson“ verwechselt zu haben. Über die Hintergründe verweigerten die Beamten aber die Aussage, weil sie dafür keine Aussagegenehmigung besäßen. Als das Landgericht daraufhin von Polizeipräsident Heinz Krappen die Herausgabe der Observationsakten verlangte, bekam das Gericht einen frechen Brief zurück. Aus „Gründen des Staatswohls“ müßte in den Akten so geschwärzt werden, daß nur noch der Absender zu lesen sei.
Die Verteidigung gab sich damit nicht zufrieden, zog vor das OLG, das die Sperrerklärung in der vergangenen Woche aufhob. Das OLG: „Die Sperrerklärung genügt nicht den aus der Strafprozeßordnung zu entnehmenden Anforderungen.“ Im Klartext: Krappens Aktenverweigerung war rechtswidrig. Begründung: „Da diese Beamten einen der Antragsgegner (Andresen, d. Red.) mit der Zielperson aus dem Observationsauftrag verwechselt hatten, spielt es zur Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit eine nicht unerhebliche Rolle, was sie beobachten sollten, wie sie ihren Auftrag untereinander aufgeteilt haben und mit welcher Intensität sie ihre jeweiligen Beobachtungen gemacht haben.“
Selbst wenn in den Observationsakten Personalien über die eigentliche Zielperson, deren „Kontakt- und Anlaufadressen“ enthalten seien, so daß „durch die Offenlegung dieser Informationen eingeleitete und künftige Ermittlungen im Umfeld der Zielperson ernsthaft gefährdet“ werden, müßten die Dokumente dem Itzehoer Schwurgericht als wichtiges Bweismittel zur Verfügung gestellt werden.
Ob das Itzehoer Landgericht die Akten noch hinzuziehen wird, entscheidet sich heute. Bereits am letzten Verhandlungstag hatten die Richter angekündigt, Gauger und Andresen freizusprechen, weil die Angaben der Staatsschützer nicht nur widersprüchlich gewesen, sondern auch von ihrer Behörde manipuliert worden seien.
Kai von Appen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen