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Stahlkochern geht es an den Kragen

■ Hoesch- und Krupphütte in Rheinhausen werden zunächst abwechselnd stillgelegt/ Stahlarbeiterkampf an der Ruhr?

Rheinhausen (taz) – Die Stahlkrise in Europa spitzt sich dramatisch zu. Die Vereinigung der europäischen Stahlindustriellen, Eurofer, wird die EG-Kommission am Montag auffordern, ein Produktionsquotenkartell gemäß Paragraph 58 des europäischen Montanvertrages einzuführen. Eine marktwirtschaftliche Krisenlösung trauen sich die Stahlbosse aus eigener Kraft nicht mehr zu. Wenn die EG-Kommission dem Antrag folgen sollte, werden für alle Stahlwerke in Europa verbindlich Produktionsumfang und Preise festgelegt.

Unterdessen haben die beiden Stahlgesellschaften der fusionierten Hoesch-Krupp AG gestern vorübergehende Totalstillegungen in Dortmund und Rheinhausen angekündigt. Schon ab 1.März sollen in Dortmund Stahlproduktionskapazitäten von 170.000 Tonnen pro Monat zugemacht werden. Der Blockstillstand bei Hoesch in Dortmund soll bis Ende Juli gehen. Danach wird das Hüttenwerk in Rheinhausen nach den Vorstellungen der Vorstände für den Rest des Jahres geschlossen und ca. 1.500 Stahlkocher für ein halbes Jahr auf Kurzarbeit Null gesetzt. Die Unternehmensleitung geht davon aus, daß die eigene Stahlkapazitat auch längfristig um etwa 180.000 Monatstonnen schrumpfen muß. Wen es letztendlich trifft, steht dahin. Zur Zeit wird die Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Standorte untersucht. Erste Ergebnisse sollen in vier Wochen vorliegen. Nach Informationen aus Unternehmenskreisen stehen die massivsten Einschnitte wohl bei den Dortmunder Hoesch-Werken bevor.

Die Betriebsräte der fusionierten Unternehmen und die IG-Metall fordern, die unumgänglichen Anpassungen so vorzunehmen, daß alle Standorte erhalten bleiben. Der Rheinhausener Betriebsratsvorsitzende Walter Busch kündigte gestern während einer Belegschaftsversammlung in Rheinhausen „einen gemeinsamen Kampf für unsere Forderungen an“. Die Stahlkocher von Krupp und Hoesch würden sich „nicht gegeneinander aufhetzen lassen“. Schon in der nächsten Woche wollen die betrieblichen Vertrauensleute gemeinsam über die weitere Strategie in Dortmund beraten.

Die Belegschaftsversammlung in der legendären „Krupp-Menage“ – hier fanden während des monatelangen Rheinhausener Streiks 1987 unzählige, hochdramatische Streikversammlungen statt – verlief gestern in unerwaret ruhiger Atmosphäre. Vom radikalen, aufrührerischen Geist des letzten großen Arbeitskampfes war wenig zu spüren. Doch das könnte sich bald ändern. „Jetzt haben wir noch die Chance, uns gemeinsam zu wehren“, rief Norbert Böhmer vom Hoesch-Betriebsrat den Kruppianern gestern zu. Wenn der Applaus als Gradmesser taugt, dann dürfte es zu diesem „gemeinsamen Kampf“ bald kommen, auch wenn Römer selbst einräumte, daß es in diesen Zeiten „verdammt schwierig mit der Solidarität ist“. Der bei den Rheinhausener Stahlarbeitern sehr populäre Duisburger Bürgermeister Jupp Krings bezeichnete die Lage auf den Stahlmarkt als höchst brisant. Die Situation sei „bedrohlicher als 1987“. Krings hatte zuvor an einer Belegschaftsversammlung der Thyssen-Stahl AG teilgenommen und dort erfahren, daß der Branchenprimus bis September 1993 neuntausend Arbeitsplatze in seinen Stahlwerken abbauen will. Der Stadt Duisburg, die jetzt schon 12,8 Prozent Arbeitslosigkeit aufweist und nach der letzten Stahlkrise durch eine Vielzahl von Initiativen für positive Schlagzeilen gesorgt hatte, droht jetzt ein Totalabsturz. Dazu sagte der Duisburger IG-Metall-Ortsbevollmächtigte Peter Gasse: Wenn die Politiker in Bonn und Brüssel glaubten, sie könnten „die industriellen Großstädte im Revier gemütlich zur Schlachtbank führen, werden wir ihnen von Duisburg bis Dortmund die Suppe mächtig versalzen“. Gasse forderte im Verein mit den Stahlindustriellen von der EG-Kommission die sofortige Einsetzung des Stahlkrisenkartells. Walter Jakobs

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