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Hausverbot für „SOS Rassismus“

Schutzgruppen von „SOS Rassismus“ dürfen seit Mitte Januar ein Asylbewerberheim in Nauen nicht mehr betreten/ Behördliche Schikanen gegen Heimbewohner nehmen immer mehr zu  ■ Von Bernd Pickert

Nauen. Lichterketten gegen Fremdenhaß sind eine Sache – der Alltag in den Unterkünften von Flüchtlingen ist eine andere. Das bekommen seit dem 1. Januar diesen Jahres Asylsuchende in zahlreichen Heimen der Bundesrepublik zu spüren, so auch in Falkenrehde im Landkreis Nauen, nur wenige Autominuten von Berlin entfernt.

Wie im ganzen Bundesgebiet sind den 60 BewohnerInnen des Heimes in Falkenrehde seit Anfang des Jahres die Sozialhilfesätze um 22,5 Prozent gekürzt worden. Darüber hinaus jedoch erhalten sie den Verpflegungssatz auch nicht mehr in Bargeld ausgezahlt, sondern als „Sachleistung“ in Form von Lebensmittelpaketen — von bislang 4,50 Mark pro Tag ist die direkte Geldzahlung nun auf 80 Mark Taschengeld pro Monat gekürzt worden.

Die Maßnahme geht auf eine Empfehlung der brandenburgischen Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) zurück – zynischerweise untergebracht in einem 41-Punkte-Katalog zur „Bekämpfung der Gewalt gegen Ausländer“. Für die Flüchtlinge – ohnehin meist in Heimen weitab jeglicher Zivilisation untergebracht – bedeutet das, auch noch die letzten sozialen Kontakte zu verlieren. Um Einkäufe zu tätigen, reicht das Taschengeld nicht aus – damit kann kaum der Bus bezahlt werden. Und auch, wie sie Telefonate, Rechtsanwälte, Porto und sonstige Dinge bezahlen sollen, ist den Flüchtlingen ein Rätsel. „Wer wirklich Geld braucht, hat doch die Möglichkeit zu arbeiten“, sagt die Nauener Ausländerbeauftragte Christa Burkhardt. Die einzige Möglichkeit, legal zu arbeiten, besteht aber im Heim selbst: Putzdienst für einen Stundenlohn von zwei Mark.

Das zuständige Sozialdezernat begründet die Essenspakete immer wieder anders. Mal heißt es, das Personal im Sozialamt sei mit der Auszahlung des Geldes überfordert gewesen. Dann wiederum solle das „Abkassieren“ von Sozialhilfe in mehreren Landkreisen verhindert werden, und zu guter Letzt garantiere die Ausgabe von Lebensmitteln, daß „vor allem die Frauen und Kinder auch genügend zu essen bekommen“. Die Männer hätten nämlich bislang oftmals die Sozialhilfen mißbraucht, um sich Autos und Technik zu kaufen, die Familien hätten gehungert. Gerade dieses letzte, scheinbar von grenzenlosem Fürsorgewillen getragene Argument stößt bei den AsylbewerberInnen auf Unverständnis. Ein bulgarischer Flüchtling kommentiert erregt, er sei mit seiner Familie vor dem Hunger geflohen. „Und hier soll ich sie ohne Essen lassen?!“ Wie alle anderen möchte auch er nicht, daß sein Name veröffentlicht wird. Schon zu Beginn der Essenausgabe nämlich hatten die Behörden Druck ausgeübt, um den Protest der BewohnerInnen zu brechen. Eine bulgarische Familie wurde zwangsverlegt – sie galt den Behörden als „Aufwiegler“, und auch einer Jugoslawin, die sich in einem Radio- Interview gegen die Essenspakete ausgesprochen hatte, war danach von der Heimleitung gedroht worden.

Heimleiterin Ute Meinicke scheint kein Mittel zu hart, um den Flüchtlingen die Möglichkeit zu nehmen, sich gegen diese und andere Maßnahmen zu wehren. Die Berliner Organisation „SOS Rassismus“, die das Heim in Falkenrehde seit fünf Monaten mit Schutzwachen vor rassistischen Überfällen schützt, hat seit dem 16.Januar Hausverbot. Auch ein neuer Zaun wurde errichtet – nicht gegen Neonazis, sondern als Demarkationslinie für die Wachen von SOS. Heimleiterin Meinicke begründete das Verbot der Schutzwachen gegenüber der Berliner Zeitung damit, daß die Gruppen „dort regelrecht gehaust und die Nachtruhe gestört“ hätten – eine Behauptung, die Gabi Buck von SOS auf die Palme bringt.

Tatsächlich, so ihre Interpretation, geht es vielmehr darum, den Flüchtlingen jeden Kontakt zu Menschen zu nehmen, die sie über ihre Rechte aufklären könnten. So gibt es im ganzen Landkreis Nauen keine Beratungsstelle für Flüchtlinge. Daß man zum Beispiel gegen Sozialhilfekürzungen auch Widerspruch einlegen kann, erfahren die Flüchtlinge allenfalls von den SOS- Leuten. So sind auch die HeimbewohnerInnen wütend über das Verbot für SOS, wie sie am Freitag abend gegenüber JournalistInnen erklärten. Aus Angst vor Repression trauen sie sich aber nicht, selbst gegenüber der Heimleitung zu protestieren. Bereits im Oktober vergangenen Jahres hatte SOS Rassismus ein erstes Hausverbot erhalten, nachdem die Gruppe eine Liste über Mängel im Heim an die Sozialministerin gesandt hatte. Daß es heute nicht um die Einhaltung der Nachtruhe geht, dafür spricht auch, daß SOS-Mitglieder nun nicht einmal mehr tagsüber in das Heim dürfen.

Die Ereignisse in Nauen stehen nicht isoliert da: In Thüringen wurde in der vergangenen Woche ein ganzes Heim geräumt – die BewohnerInnen hatten sich geschlossen gegen die auch dort eingeführten Lebensmittelpakete gewehrt.

In Brand, vierzig Kilometer südlich von Berlin, entsteht derzeit ein neues großes „Asylghetto“ (Zitty) auf einem ehemaligen Militärflughafen – weitab vom nächsten Dorf, in einem weitläufig abgesperrten Gelände, das von vornherein jeglichen sozialen Kontakt ausschließt.

Flüchtlinge aus Eberswalde, die nach einem Brandanschlag im Dezember verlegt worden waren, standen danach unter Polizeischutz. Der „Schutz“ entpuppte sich jedoch als massive Schikane – mitten in der Nacht drangen die Polizisten in das Heim ein, um die Ausweise zu kontrollieren, und befragten BewohnerInnen nach ihren politischen Ansichten.

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