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AKW Brunsbüttel: Locker untersucht

■ Prüfer hatten Auftrag, nicht zu viele Risse in Schweißnähten zu entdecken

Berlin (taz/dpa) – Offiziell sollten sie die Rohre verschiedener AKWs auf ihre Sicherheit hin untersuchen. Aber intern lautete die Anweisung, „bei der Überprüfung von Schweißnähten nicht zu viele Fehler zu finden“. Das erklärten zwei Mitarbeiter der inzwischen aufgelösten Hamburger Firma AWECO gegenüber dem Magazin Focus. Außerdem seien Röntgenaufnahmen von schadhaften Schweißnähten verschwunden und Bezifferungen in den Planungsunterlagen verändert worden. Viele Mitarbeiter der Firma seien innerhalb von zwei bis drei Wochen angelernt worden und entsprechend wenig qualifiziert für ihren Job gewesen.

Die beiden Informanten berichteten, daß die AWECO sowohl im AKW Brunsbüttel als auch in Krümmel und Biblis gearbeitet habe. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) geht davon aus, daß es sich hierbei keineswegs um Einzelfälle handelt.

Das schleswig-holsteinische Energieministerium versuchte sogleich, Handlungsfähigkeit zu beweisen, und beauftragte die Staatsanwaltschaft, die Vorwürfe zu überprüfen. Karsten Hinrichsen, grüner Kreistagsabgeordneter im Kreis Steinburg aber sieht darin eher ein Ablenkungsmanöver von staatlicher Verantwortung: „Wenn Gutachten und Röntgenaufnahmen verschwinden, müßte das ja wohl in den Behörden und beim TÜV auffallen.“

Auch ein Sprecher der Betreiberin Hamburgische Electricitäts- Werke (HEW) wies darauf hin, daß die Sicherheitsüberprüfungen von staatlich beauftragten Stellen gegengecheckt würden.

Der Leiter des Brunsbüttler Kraftwerks, Volker Brodale, hat inzwischen bestätigt, daß AWECO-Mitarbeiter in den 80er Jahren Untersuchungen durchgeführt hätten – allerdings nicht in direktem Auftrag der HEW, sondern als Subauftragnehmer, vermutlich von Siemens. Besonders unangenehm sind die neuen Veröffentlichungen für die AKW-Betreiber in Brünsbüttel deswegen, weil in den letzten Tagen Informationen über zahlreiche Risse im Rohrsystem bekannt wurden. 119 wurden nach Angaben der Betreiber inzwischen entdeckt, davon 49 im Lagerdruckwasser-, 68 im Kühlmittelreinigungs- und 2 im Spülwassersystem. Alle drei Bereiche seien „nicht unmittelbar sicherheitsrelevant“, behaupten die Electricitäts-Werke.

Aber die jetzt entdeckten Risse sind nicht die einzigen Hinweise darauf, daß es mit der Sicherheit des 1976 ans Netz gegangenen AKWs Brunsbüttel nicht weit her ist. So wurde die Kühlmittelleitung außerhalb des Sicherheitsbehälters nie untersucht, weswegen Energieminister Günther Jansen seinem Amtskollegen Klaus Töpfer in Bonn im September 1989 ein Ultimatum stellte: Ohne eine sofortige Überprüfung drohte Jansen, den Reaktor stillzulegen. Töpfer sah sich durch die kurze Frist überfordert, Jansen schaltete den Meiler dennoch nicht ab. Die Leitung blieb weiter unbegutachtet.

Auch die Absperrventile für die Rohre, die durch den Sicherheitsbehälter des Reaktors durchstoßen, sind in Brunsbüttel schon mehrfach deformiert worden, zuletzt im Mai letzten Jahres. Und obwohl die HEW seit längerem den Antrag gestellt hat, auch anderswo als im unmittelbaren Sicherheitsbereich widerstandsfähigere Rohre aus austenitischem Stahl einzubauen, hat sie bisher dafür keine Genehmigung aus Kiel bekommen. Begründung: Ohne eine Globalüberprüfung dürften die spröden Rohre aus ferritischem Stahl nicht ausgewechselt werden.

Heute trifft sich in Bonn die Reaktorsicherheitskommission. Sie will sich mit den Unterlagen über die Schweißnaht „13.3 B“ aus Brunsbüttel beschäftigen und der Frage nachgehen, ob der darin festgestellte Riß seit dem Einbau oder erst durch den Betrieb entstanden ist – und damit weiter wachsen kann. Die von der Reaktorsicherheitskommission erlassenen Vorschriften beurteilen Risse in AKW-Rohren nicht grundsätzlich als sicherheitsrelevant. Sie fordern lediglich, daß die Rohre nicht plötzlich zerbersten können. aje

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